Frau Eff, Berufsbetreuerin … als Sherlock Holmes

Meine Klienten sind statistisch gesehen wirklich eine bemerkenswerte Sondergruppe. Ungefähr 200 Mal häufiger als dem Durchschnittsbürger wird ihnen zum Beispiel die Kontokarte gestohlen. Sie verlieren sie nicht, nein, sie wird ihnen gestohlen. Aus dem Portmonee, das sich in der vorderen Hosentasche unter einem dicken Mantel befindet, auf offener Straße, unbemerkt. Sofort wird natürlich die Betreuerin angerufen „Frau Eff, ich bin in der Fußgängerzone, meine Geldkarte ist geklaut, jetzt hebt sicher jemand mein ganzes Geld ab! Du musst zur Polizei!“.

„Immer mit der Ruhe“, sagt Frau Eff und schaut im Online-Banking nach. Dort sehe ich viele Abhebungen, und zwar nicht die mit der ausgeraubten Klientin Silvia G. vereinbarten 70 Euro pro Woche. Interessanterweise lässt sich mit den dort aufgeführten Orten, an denen Geld abgehoben wurde, genau der Weg nachvollziehen, den Silvia G. von gestern Abend bis heute Vormittag zurückgelegt hat: Werkstatt für behinderte Menschen, McDonalds am Bahnhof, ihre Wohnadresse und gerade, vor nicht einmal fünf Minuten, die Fußgängerzone.

Schnell wähle ich die Telefonnummer der Sparkassen-Filiale und frage die Mitarbeiterin, die mich als langjährige Betreuerin kennt, ob vielleicht die Kundin Silvia G. zu sehen sei. „Lange blonde Haare? Ja, die steht hier vor der Tür und telefoniert. Ich glaube, die hat gerade auch Geld abgehoben“.

„Gotcha Baby“, denke ich und wähle Silvia G.s Handy an. „Gute Nachrichten“, sage ich ihr, „die Sparkasse hat mir gesagt, dass die am Geldautomaten immer mit versteckter Kamera ein Foto von dem machen, der das Geld abhebt (das stimmt sogar). Heute Abend werden die Fotos ausgedruckt und dann sehen wir, wer der Dieb war“.
Silvia G. ist hörbar beeindruckt und verspricht kleinlaut, sich abends zur Gegenüberstellung bereit zu halten. Ich will ihr Zeit lassen, die Sache vielleicht doch selbst aufzuklären. Tut sie aber nicht. Also rufe ich sie abends wieder an.

„Hallo Frau Eff…“, sagt sie leise.
„Hallo Silvia. Große Überraschung. Was meinst Du, wer auf allen Fotos zu sehen ist?“
„Ich…?“
„Hm.“
„Bist Du jetzt sauer?“
„Nee. Wie viel Geld ist denn noch übrig?“
„Nix mehr.“
„Wovon willst Du denn in den nächsten zwei Wochen Essen kaufen?“
„Öhh…“

Ich gebe zu, mein Vorgehen ist verwerflich. Silvia G. ist geistig behindert. Mit etwas Nachsicht könnte man ihr zugute halten, dass sie nur im Rahmen ihrer beschränkten Möglichkeiten handelt und mir nichts Böses will. Andererseits macht mich das wahnsinnig, wenn meine Klienten meinen, mich mit so billigen Lügen überlisten zu können.
Und doch: Man darf das alles nicht persönlich nehmen.