Frau Eff… übt Gelassenheit

Frau Eff, Berufsbetreuerin… übt Gelassenheit

Es gibt Tage in meinem Büro, da könnte ich den Schreibtisch durch die geschlossene Fensterscheibe werfen, vor Wut. Zeitdruck, Dummheit, sinnlose Anfragen, noch sinnlosere Formulare, unverschämte Klienten und nicht funktionierende Computer sind meistens die Zutaten, die meine Nerven aufdrehen wie Geigensaiten. Kurz vor dem Überspannen und Reißen der Saiten habe ich mir letztens ein Buch gekauft, das Hilfe versprach: Katja Niedermeier: Gelassenheit im Job (H.C. Beck, 2012, 6,90 €).

Das Büchlein ist kleiner als die Briefumschläge, die das Jobcenter benutzt, die 125 locker in schwarz und blau bedruckten Seiten habe ich schnell durchgearbeitet – dachte ich.
Der erste Satz unter „Grundgedanken“ hat mir schon gut gefallen. Das Wort Gelassenheit beinhalte den Wortteil „lassen“, schreibt die Autorin. Das hatte ich schon geahnt, dass ich eine Menge Dinge werde „lassen“ müssen, um zur Ruhe zu kommen. Vielleicht die Sozialhilfebescheide nicht so genau prüfen, nicht wegen jeder Kleinigkeit Widerspruch einlegen, schwierige Klienten gehen lassen. Je mehr Seiten ich las, desto klarer wurde, dass das nicht die Richtung ist, in die der Hase der Frau Niedermeier läuft.

Im Gegenteil. An den äußeren Gegebenheiten, Dingen und Tatsachen soll man eher gar nichts ändern, sondern nur an sich selbst. „Gelassene Menschen lassen auch nur gelassene und wohltuende Gedanken zu“ lese ich überrascht. Die Autorin nennt auch ein Beispiel: Wenn man sich über Papierstau und leere Druckerpatronen im denkbar ungünstigsten Moment aufregt, soll man dies als „Zeitgeschenk“ sehen und sich sagen „Alles fügt sich für mich gerade genau richtig und ich muss nicht verstehen, wie und warum“. Danach soll man zehnmal bewusst ein- und ausatmen und nichts könne einen mehr erschüttern. Als „Energie-Kick für Zwischendurch“ empfiehlt Frau Niedermeier, seine Ohren sternförmig in alle Richtungen zu ziehen und zu massieren. Die Frau meint das ernst. Genau wie das mit den Energiepunkten an der Außenkante der Hand und das „Klopfen der Thymusdrüse“.
Ganz grundsätzlich ist die Autorin der Meinung, dass man es selbst schuld sei, wenn man gestresst und unzufrieden ist. Alles eine Frage der Einstellung und des Selbstcoachings. Wünsche und erstrebenswerte Zustände müssten im eigenen Unterbewusstsein nur oft genug durch positiv formulierte Bestärkungssätze abgespeichert werden, dann klappe es mit der Gelassenheit und letztendlich auch mit dem Erfolg. Sie selbst bietet über ihre Website dazu ein Ferncoaching für 160 Euro pro Stunde an.

Puh, das ist mir doch alles ein bisschen zu einfach und zu naiv. Wenn ich durch einfaches Wollen eine Scheißsituation in eine positive umwandeln kann, dann müsste ich das ja auch von meinen Klienten verlangen. Dann sage ich morgen zu Herrn D., der nach einem ärztlichen Kunstfehler seit Jahren im Rollstuhl sitzt und gestern die Diagnose Darmkrebs bekommen hat, dass er jetzt mal sternförmig an seinen Ohren ziehen und ein positives Leben visualisieren müsse. Nein, Frau Niedermeier, bei mir bestimmt immer noch das Sein das Bewusstsein, und nicht umgekehrt.

Als Gegengift zur egoistischen Selbstsuggestion und unpolitischem Wunschdenken empfehle ich einen Blick in Barbara Ehrenreichs „Smile or Die: Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt“ (Kunstmann, 2010, 19,90 €).