Frau Eff… und die Arbeitswelten

Frau Eff, Berufsbetreuerin… und die Arbeitswelten

Beginnen wir heute mal mit einer Suchmeldung: Kennen Sie einen Arzt, Fachrichtung Psychiatrie, der eine Stelle sucht? Wenn er in der Klinik in meiner Nachbarstadt einen Arbeitsvertrag unterschreibt, bekomme ich eine Kopfprämie von 2.000 Euro, die ich mit Ihnen teilen würde (20 % – 80 % für mich). Der Arzt bekommt für die Anfangszeit eine Unterkunft gestellt, er wird mit offenen Armen empfangen und muss auch nur rudimentär Deutsch sprechen (kostenfreier Sprachkurs ist Teil des Deals). Nach Feierabend kann er sich dann mit seinen Kollegen aus dem französischsprachigen Afrika, aus Georgien und aus Belgien darüber austauschen, wie schlecht die Ausstattung der Klinik ist (EKG kaputt, kein Labor am Wochenende) und wie sinnlos alle diese Entlassungsberichte sind, die aber zum Glück nicht von ihnen, sondern von den deutschkundigen alten Arzt-Hasen geschrieben werden müssen.

Ähnlich muss die Situation in Altenpflegeheimen sein. Dort höre ich bei den Besuchen meiner Klienten, dass die Umgangssprache auf einigen Stationen Russisch, Polnisch oder Rumänisch ist. Das sagt natürlich nichts über die Qualität der Pflege aus, aber über den Zustand von Arbeitswelten. Auch Pflegedienste und Anbieter von ambulant betreutem Wohnen suchen bei uns fast jedes Wochenende mit Anzeigen in der Zeitung neue Mitarbeiter. Nicht zuletzt führt dies

zu einem stetigen Kommen und Gehen. Wem Arbeitgeber A nicht passt, der wechselt halt zu Arbeitgeber B. Schlecht bezahlen tun sie alle. Die Klienten müssen sich oft alle paar Wochen an neue Gesichter und wechselnde Vertrauenspersonen gewöhnen. Wenn man zum Beispiel im Bett liegt und darauf angewiesen ist, dass einem jemand die Windeln wechselt, ist es bitter, wenn das jeden Tag ein anderer tut. Auch wenn man von Angst zermürbt als psychisch Kranker ambulante Unterstützung in der eigenen Wohnung braucht, ist es verunsichernd, wenn die Betreuungspersonen oft wechseln. Verunsichert sind auch die betroffenen Mitarbeiter, weil sie von 40 Stunden Arbeit pro Woche kaum leben können und ihren kargen Lohn unter Bedingungen verdienen, die ich unwürdig nennen würde.

So haben zum Beispiel viele Mitarbeiter des ambulant betreuten Wohnens kein Büro und keinen Dienstwagen. Sie werden zudem nur für „face-to-face“-Leistungen bezahlt, also nur dann, wenn sie persönlich mit den Klienten zu tun haben. Sie nutzen ihr privates Auto gegen eine kleine Entschädigung für Benzin. Ihr lächerlich geringes Grundgehalt sieht vor, dass sie nur dann einen Bonus bekommen, wenn die im Hilfeplan genannten Fachleistungsstunden auch tatsächlich erbracht werden. Sagt ein Klient den Termin ab oder sind sie selbst krank, geht ihnen bares Geld flöten. Ein anderes Arbeitsmodell in diesem Bereich wird auf Honorarbasis geführt. Stundenlöhne von 13 Euro sind im Gespräch – für begleitende Arbeit mit psychisch schwer kranken Menschen. Oder die Mitarbeiter werden mit einer sehr geringen Stundenzahl fest angestellt, arbeiten aber quasi Vollzeit. Alles, was über ihre Vertragsarbeitszeit hinausgeht, wird als Überstunden ausgezahlt. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder das Arbeitslosengeld richtet sich natürlich nach dem Grundgehalt. Von Urlaub redet hier sowieso keiner mehr.

„Frau Eff, dass die psychosoziale Arbeitswelt kein Ponyhof ist, dürftest Du doch langsam kapiert haben“ höre ich meine Kollegen rufen. „Warum sollen wir uns jetzt auch noch um die Arbeitsbedingungen der anderen kümmern?“ Tja, Leute, weil ich glaube, dass es „meine“ und „deine“ Arbeitswelt nicht gibt. Wenn die Mitarbeiter des Jobcenters von unfähigen Vorgesetzten und sich verdoppelnden Fallzahlen so unter Druck gesetzt werden, dass ihre Unfreundlichkeit und ihr Kasernenton eine Form der Selbstverteidigung ist, dann spätestens ist das auch unser Problem. Wenn unsere Klienten unter den Arbeitsbedingungen der Helfer leiden, dann ist das unser Problem. Und dass menschenunwürdige Arbeitsbedingungen nicht nur das Problem der Betroffenen sind, sondern unsere Solidarität benötigen, um sich zu ändern, dass kann man lernen. Indem man sich erzählen lässt, wie der Arbeitsalltag der anderen aussieht. Indem man deren Vorgesetzte anmotzt, anstatt die überarbeiteten Betroffenen. Indem man sich klar macht, dass Ausbeutung ein System ist, das Opfer hat und Täter.