Frau Eff… und die Betonköpfe

Frau Eff, Berufsbetreuerin … und die Betonköpfe

„Frau Eff“, ruft mich völlig aufgelöst die Betreute Elvira M. an „die haben uns 230 Euro gestrichen, wovon sollen wir denn jetzt leben!“. „Die“ sind die vom Jobcenter, und ich rufe gleich mal die Sachbearbeiterin an, um zu erfahren was da los ist. „Jaaa…“, erläutert mir die zuständige Dame mit unverhohlenem Stolz in der Stimme „wir haben davon Kenntnis erhalten, dass die Tochter ihrer Betreuten seit vier Monaten ein Einkommen hat, das nicht angegeben wurde“.Mit einiger Mühe erfahre ich, was passiert ist: Die psychisch kranke Frau M. lebt als allein erziehende Mutter mit drei Kindern im Alter von acht, elf und 18 Jahren in einer kleinen Wohnung.

Die älteste Tochter macht demnächst Abitur. Hatte dieser Schulabschluss früher in erster Linie etwas mit Lernen zu tun, bekommt man heute den Eindruck, als gehe es schwerpunktmäßig um die Organisation der Abschlussfeier im Stile einer Oscar-Verleihung. Frau M.s Tochter berichtet mir von 800 Euro pro Schüler alleine für Raummiete, Catering und Musik. Dazu kommen noch das Ballkleid, Schuhe, Friseur und die Kosten für die Stretch-Limo. Zusätzlich muss jedes Familienmitglied 25 Euro Eintritt für den Abiball bezahlen und selbstverständlich auch in festiver Gardarobe erscheinen. „Und die Abschlussfahrt nach Rom hat uns schon 600 Euro gekostet…“ seufzt Frau M. verzweifelt.

Natürlich kann Frau M. ihrer Tochter diesen Luxus nicht finanzieren. Also jobbt das Mädchen nach der Schule und am Wochenende in einem Imbiss, um sich das nötige Geld selbst zu verdienen. Der Lohn wird auf ihr Sparbuch gezahlt. Frau M.s Tochter war gar nicht auf die Idee gekommen, dies dem Jobcenter oder mir zu melden. Wie also hat das Amt davon erfahren? Die Sachbearbeiterin des Jobcenters verrät es mir:

Die Grillstube Akropolis hatte vor einigen Wochen 25-jähriges Jubiläum. Das hat man mit einer großen Anzeige in der Lokalzeitung und drei Tagen „Gyros-Pita für 2 Euro“ gefeiert. Auf dem Foto der Anzeige war auch die Tochter von Frau M. zu sehen. Die Bildunterschrift „Herr Polopodos mit seiner Mitarbeiterin Frau Julia M.“ weckte den Jagdinstinkt der Behörde. Man fragte allerdings nicht bei Familie M. nach, sondern erkundigt sich in der Grillstube. Herr Polopodos gibt freimütig Auskunft, er will ja keinen Ärger mit dem Finanzamt. In der Akte des Jobcenters ist der Zeitungsausschnitt mit der Jubiläumsanzeige säuberlich abgeheftet.

Die Konsequenz für Familie M. ist nun: Der größte Teil des Verdienstes der Tochter wird zukünftig als Einkommen angerechnet und muss für den Lebensunterhalt verwendet werden. Das bisher von der Tochter angesparte Geld muss zum Ausgleich der eingetretenen Überzahlung herausgerückt werden. Mit dem ihr verbleibenden Geld kann sie ihren Beitrag zur Abifeier nicht bezahlen. Die Tochter ist stinkesauer und heult stundenlang.

Mich machen solche Ungerechtigkeiten sehr wütend. Die Schulen werden immer verrückter mit dem Theater um die goldenen Kälber, äh Kinder. Auch für den kleinen Sohn von Frau M. fallen ständig schulbedingte Sonderausgaben an: Abschlussfahrt, drei Tage später Abschlussparty, dann am Wochenende „Übernachten in der Schule“ – nur weil das Schuljahr um ist! Das Jobcenter übernimmt zwar die Kosten für die Fahrt, aber nicht fürs Taschengeld, für die Kuchen, die Würstchen, den Schlafsack etc., den der Sohn mitbringen soll. Für Frau Dr. S. und ihr Einzelkind Alexander ist das ein großer Shoppingspaß, für Frau M. ist es Geldstress und Verzicht auf vieles andere.
Für ihre Tochter ist die Situation noch schlimmer. Sie schämt sich für die Armut ihrer Familie. Und sie ist verzweifelt darüber, dass man ihr die Möglichkeit nimmt, daran etwas zu ändern. Die Betonköpfigkeit des Jobcenters in dieser kleinen Sache kann ein ganzes Leben verbittern. Frau M.s Tochter wird diese Demütigung nicht vergessen. Sie wird vielleicht zukünftig jede Behörde als ihren Feind ansehen und Schwarzarbeit als einzige Chance, der Willkür der Ämter zu entgehen.
Von nix kütt nix, wie man im Rheinland so schön sagt.