Herr Ähm … wird Berufsbetreuer!

Herr Ähm … wird Berufsbetreuer!

„Also eigentlich ist das alles ganz einfach“, sagte mir eine Freundin: „Man schreibt eine Bewerbung an die Betreuungsbehörde, wird zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen und nach einer Prüfung schlägt die Behörde einen als Betreuer vor; und – wenn es gut läuft – wird man vom Gericht nach ein paar ehrenamtlich geführten Betreuungen zum Berufsbetreuer bestellt“. Klingt machbar, denke ich.

Ich greife also zum Telefonhörer und rufe bei den Betreuungsbehörden in meinem Bezirk und in der Umgebung an. „Guten Tag Herr Ähm., Berufsbetreuer? (Untertext: Sind Sie des Wahnsinns) – nein kein Bedarf (Untertext: Stören Sie nicht, wir haben Wichtigeres zu tun), melden Sie sich doch in ein paar Monaten noch einmal (Untertext: Vielleicht kann man den später noch gebrauchen)“. Nächster Versuch: „Ja, dann schicken Sie doch mal ein paar Unterlagen, Bewerbungsschreiben, Führungszeugnis und so weiter…!“ Motiviert durch den Strohhalm, den man mir reicht, stelle ich eine Bewerbungsmappe zusammen, lasse schicke Bewerbungsfotos machen und suche Zeugnisse über meine Qualifikationen und Berufserfahrung zusammen; die ich an den Behördenmenschen schicke. Der Ladendiebstahl, den ich mit 16 nicht gerade nüchtern begangen habe, steht zum Glück in keinem Register und das Praktikum als Gabelstapelfahrer soll ich besser weglassen, meint meine Freundin. Das interessiere die Behörde nicht und manchmal würden sich da etwas komische Leute als Berufsbetreuer bewerben. Komisch, denke ich, komisch bin ich doch auch, aber das sollen die besser nicht wissen.

Danach: Schweigen im Walde! Geschlagene 8 Monate keine Reaktion, trotz mehrerer Anrufe und Schreiben, in denen ich mich höflich nach dem Sachstand erkundige. Dann plötzlich geschieht das Unerwartete: Ich sitze mal wieder wegen irgendeines Feuerwehreinsatzes in der U-Bahn fest, als mir mein Handy „Spiel mir das Lied vom Tod“ ins Ohr säuselt. Passt irgendwie, denke ich! Unbekannte Nummer!? Schlechtes Zeichen! Ich gehe trotzdem ran. „Guten Tag Herr Ähm. Wollen Sie noch Betreuungen.“ „Ähm, ja!“ „Kommen sie doch mal am Donnerstag vorbei. Ja, 11:00 Uhr, wäre schön, wenn Sie Zeit hätten.“ Wieso ist der auf einmal so freundlich, denke ich; zumal es der Typ von der ersten Behörde ist, die nichts von mir wissen wollte.

Donnerstagvormittag: Was soll ich anziehen? Ist das jetzt ein Bewerbungsgespräch oder gehe ich zu einer Prüfung? Ich habe keine Ahnung und entscheide mich für die neue Jeans und den etwas nichtssagenden Rollkragenpullover. Das geht immer. Der Typ von der Behörde ist immer noch freundlich, bietet mir sogar eine Tasse Kaffee an. Wir plaudern ein wenig über dies und das. Warum ich denn Betreuer werden möchte und was ich bislang so gemacht hätte. Mensch hat der eine Menschenkenntnis, denke ich. Ja, etwas türkisch kann ich auch, dank des Volkshochschulkurses und meiner türkischen Nachbarn im Haus. Englisch, ja natürlich, habe ich in der Schule gelernt und ich war auch mal drei Monate in London. Toll, was ich alles so gemacht habe, denke ich. Jura habe ich auch studiert und später habe ich mich ehrenamtlich in der Obdachlosenhilfe engagiert. Ich werfe alles in die Waagschale und finde das alles etwas peinlich. „Sieht doch ganz gut aus, wir melden uns dann bei Ihnen, wegen des Prüfungstermins“, verabschiedet er mich.

Prüfung? Ja Prüfung! Worüber eigentlich? Ich frage wieder meine Freundin: „Das weiß keiner so genau“, meint sie. „Guck dir mal die §§ 1896 ff. im BGB an und lern mal etwas Sozialrecht“. Aha! Etwas Sozialrecht! Aus dem Studium weiß ich immerhin, dass es dreizehn Sozialgesetzbücher gibt, die jeder Student hasst, wenn er denn überhaupt jemals da reingeguckt hat und die nicht gerade angenehm zu lesen sind. Nicht nur sprödes Juristendeutsch, sondern Paragraphen, die sich über mehrere Seiten hinziehen und gerne vom Gesetzgeber geändert werden, um eine sogenannte Reform umzusetzen, bei der es tatsächlich um Geld geht, was man als Otto-Normalverbraucher aber erst verstanden hat, wenn es zu spät ist.

Ich laufe also in die Bibliothek und leihe mir ein Standardwerk mit dem verheißungsvollen Titel: „Einführung in das Sozialrecht“ aus. Ich liebe Bücher mit solchen Titeln. Sie sind in der Regel relativ dünn und geben einem irgendwie das Gefühl, nach ihrer Lektüre einen Überblick zu haben. Dass das nicht stimmt, merkt man immer erst später, weil man kein praktisches Problem mit ihnen lösen kann. „So what!“ denke ich und beginne zu lesen. Nach 10 Seiten wird mir so langweilig, dass ich zum Kicker greife und die Torschützenliste noch einmal durchgehe. Lewandowski hat schon fünfzehnmal getroffen, irre! Abends gehe ich ins Kino und treffe noch ein paar Freunde.

Zwei Wochen später musiziert mir wieder mein Smartphone die bekannte Melodie ins Ohr; der Behördenmensch ist dran: „Ja, Sie könnten dann anfangen, Herr Ähm. Ich hätte da auch schon zwei Fälle für Sie!“ Was denn mit der Prüfung sei, will ich wissen. Ja, man habe vergessen mich einzuladen, aber ich hätte ja Jura studiert. Wenn die wüssten, denke ich!

Gut, so wurde ich also etwas unerwartet und plötzlich Berufsbetreuer, ohne im Geringsten zu wissen, was auf mich zukommt. Seitdem bekomme ich ungewöhnlich viel Post, was ich am Anfang noch recht interessant fand (Ich bin wichtig!). Inzwischen habe ich allerdings eine ausgeprägte Postphobie entwickelt und traue mich nur noch in Begleitung an meinen Briefkasten.

Noch ein Wort zum Schluss: Nein, ich gendere nicht in meinen Kolumnen und ich bin auch politisch unkorrekt! Denn ich habe leider jetzt keine Zeit mehr für so etwas: Bei Frau M. steht das Bad unter Wasser, Herr S. hat wieder Besuch vom Geheimdienst und sein Wohnzimmer ist verwanzt, Herr B. hat zum dritten Mal in diesem Monat seinen Hausschüssel verschlampt und vor mir liegt ein Stapel ungeöffneter Post! Ja, ich habe jetzt alle Hände voll damit zu tun, normal zu bleiben! Normal? Früher gab es dieses Wort für mich nicht. Jeder kann doch machen, was er will, dachte ich in meiner grenzenlosen Naivität. Ich sehe das jetzt etwas anders!

Ach, und noch etwas: Schöne Grüße von meiner Freundin, der ich diesen Job verdanke. Ich melde mich dann wieder, wenn ich etwas Zeit (ha,ha!) habe …

Euer Herr Ähm!