Bundesgerichtshof meint, auch mit 27 € Stundensatz sei ein auskömmliches Einkommen erzielbar

Belegt die BMJV-Erhebung die Unauskömmlichkeit der untersten Vergütungsstufe?

Dem Bundesgerichtshof liegen weiterhin keine Erkenntnisse vor, aus denen sich ergeben würde, dass das mit der untersten Vergütungsstufe erzielbare Einkommen von Berufsbetreuern unauskömmlich wäre. Mit Beschluss vom 17. Mai 2017 – XII ZB 621/15 wurde der Vortrag einer Berufsbetreuerin der untersten Vergütungsstufe zurückgewiesen, ihre niedrigen Einkünfte stellten eine Verletzung des Grundrechts auf Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs 1 GG dar.

Im entschiedenen Fall verfügte die Betreuerin über einen Facharbeiterabschluss für Datenverarbeitung und eine Fachhochschulausbildung für Informationsverarbeitung (Abschluss 1989 in Görlitz). Ihr Stundensatz wurde auf 27 € festgesetzt. Dies wurde vom BGH bestätigt. Ebenso die seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6.2.2007 – 1 BvL 10/06 zur Mischkalkulation beharrlich wiederholte Behauptung, das Vergütungssystem führe automatisch zu auskömmlichen Einkünften und sei daher verfassungsgemäß.

Die Beschwerdeführerin hatte es den Gerichtsinstanzen allerdings leicht gemacht, die Behauptung einer nicht auskömmlichen Vergütung zurückzuweisen: sie teilte nicht einmal mit, aus welchen Fällen sich ihre Betreuungen zusammensetzen und welche Stundenzahlen sie gemäß § 5 VBVG durchschnittlich abrechnen kann. Sie verwies lediglich auf die Position des BdB, der den monatlichen Zeitaufwand pro Fall auf fünf Stunden schätzte, sodass bei Wahrnehmung aller für die einzelnen Betreuten anfallenden Aufgaben nur Zeit für 43 Betreute bleibe. Dagegen hatte das Landgericht in seinem Beschluss einen Erfahrungswert mitgeteilt, wonach Berufsbetreuer zwischen 50 und 80 Fälle führten.

Eine weitere, besser begründete Rechtsbeschwerde hätte möglicherweise günstigere Erfolgsaussichten.  Der zweite Zwischenbericht der Erhebung zur Qualität im Betreuungswesen im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz zeigt, dass ein Großteil der Berufsbetreuer den tatsächlichen Zeitaufwand höher einschätzt als den vergüteten: Der Mittelwert des tatsächlichen Zeitaufwands liegt nach der Auswertung der Befragungen bei 4,1 Stunden, der derzeit vergütete Aufwand bei 3,3 Stunden pro Betreuung.

Nach derselben Erhebung haben Berufsbetreuer im Jahr 2014 durchschnittlich 40 Fälle geführt und bei der höchsten Vergütungsstufe einen Rohertrag in von 40.444 € erzielt. Nach Steuern und den notwendigen Aufwendungen für eine mit abhängig Beschäftigten vergleichbaren sozialen Sicherung verblieben selbständigen Berufsbetreuern damit monatlich noch 1478 € zum Leben, wie der BVfB errechnet hat. Durchschnittliche Berufsbetreuer mit dem niedrigsten Stundensatz dürften ein noch geringeres und damit offensichtlich unauskömmliches Nettoeinkommen erzielen.

Ob der Instanzenweg (Antrag ans Betreuungsgericht, Beschwerde zum Landgericht, Rechtsbeschwerde zum BGH) und die Befassung des Bundesverfassungsgerichts per Verfassungsbeschwerde oder Vorlage durch das BGH allerdings schneller zum Ziel einer Vergütungserhöhung führen würde als die in 2018/2019 zu erwartende Entscheidung des Gesetzgebers über ein neues Vergütungssystem, bleibt offen. Nachzahlungen wären nicht zu erwarten: das Bundesverfassungsgericht würde kaum zu einer rückwirkenden Feststellung einer verfassungswidrig unauskömmlichen Vergütung kommen, wenn es das gegenwärtige Vergütungssystem bisher für verfassungsgemäß gehalten hat.