Beschlüsse des Landgerichts Heilbronn vom 15.04.2020 – (Ri 1 T 36/20) und des Landgerichts Karlsruhe vom 16.11.2020 – (11 T 112/20)
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung am 27.09.2019 hat der Gesetzgeber im Vergütungsrecht den Heimbegriff aufgegeben und durch den Begriff stationäre Einrichtung ersetzt. Zusätzlich wurde der Begriff der den stationären Einrichtungen gleichgestellten ambulanten Einrichtungen (gleichgestellte Wohnformen) eingeführt. In welchem Ausmaß sich die Einführung dieses Rechtsbegriffs nachteilig auf die Vergütung rechtlicher Betreuer auswirken würde, war von Anfang schwer vorherzusagen, da die Problematik durch die Definitionen entsprechender stationärer und ambulanter Wohnformen in den „Landesheimgesetzen“ überlagert wird und vor diesem Hintergrund keine einheitliche Rechtsprechung zu erwarten war und ist.
Festzuhalten ist jedoch, dass der Gesetzgeber mit den „gleichgestellten Wohnformen“ typisierend bestimmte Wohnformen erfassen wollte, bei denen aus strukturellen Gründen der Aufwand für die rechtliche Betreuung dem Aufwand für Betreute in stationären Einrichtungen gleicht. Als griffige Kriterien soll es nach dem Willen des Gesetzes insoweit nicht mehr auf das Angebot von Verpflegung, sondern darauf ankommen, ob eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch professionelle Pflege- oder Betreuungskräfte sichergestellt ist und die extern angebotenen Pflege- und Betreuungsleistungen für die Betreuten nicht frei wählbar sind (professioneller Organisationsapparat mit Versorgungsgarantie).
Für die freie Wählbarkeit der Leistungen kommt es auf die vertragliche Gestaltung der Wohnform an. Denn nur so steht Rechtspflegern ein griffiges Kriterium bei der Entscheidung über Vergütungsanträge zur Verfügung. Hierfür spricht auch, dass in der Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung die Formulierung aus der Begründung des Referentenentwurfes des BMJV, nach der alternativ auch die faktische Wahlmöglichkeit eine Rolle spielen sollte, nicht übernommen worden ist.
1 ½ Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes haben rechtliche Betreuer vereinzelt auf gravierende Auswirkungen der Neuregelung hingewiesen. In einigen Regionen wurde beklagt, dass Einrichtungen, die zuvor nicht als Heime angesehen wurden, nunmehr als gleichgestellte Wohnformen betrachtet werden. Dies wäre mit erheblichen Einnahmeverlusten (durchschnittlich über 60 % pro Betreuung) verbunden. Überwiegend ist jedoch bislang zu beobachten, dass sich aus der Neuregelung der Wohnformen keine finanziellen Nachteile für rechtliche Betreuer ergeben haben.
In diesem Kontext sind die beiden Beschlüsse der Landgerichte Heilbronn und Karlsruhe zu betrachten, die sich mit den gleichgestellten Wohnformen befassen. In beiden Fällen hatten Berufsbetreuer Beschwerde gegen amtsgerichtliche Beschlüsse eingelegt, durch die ihnen eine Vergütung für eine andere Wohnform verweigert worden war. Beide Beschwerden wurden zurückgewiesen. In beiden Fällen gingen die Gerichte vom Vorliegen einer den stationären Einrichtungen gleichgestellten Wohnform aus. Während das Landgericht Karlsruhe über die Wohnform nach einer Umwandlung von einem Seniorenpflegeheim in eine ambulante Einrichtung zu entscheiden hatte, kann anhand des Beschlusses des Landgerichts Heilbronn leider nicht nachvollzogen werden, ob die Betreuerin vor dem Inkrafttreten des „neuen“ Vergütungsrechts nach der Wohnform Heim abgerechnet hatte.
Auffällig ist, dass in beiden Entscheidungen die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen worden ist. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn dies zur Herbeiführung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Rechtsfortbildung erforderlich erscheint. Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber den Begriff der „gleichgestellten Wohnformen“ neu eingeführt und in § 5 Abs. 3 Satz 3 VBVG recht ausführlich definiert hat, ist die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde überraschend. Während das Landgericht Heilbronn lapidar feststellt, Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde lägen nicht vor, begründet das Landgericht Karlsruhe seine Entscheidung mit einem Hinweis auf die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof zur Abgrenzung der Wohnformen bereits entwickelt habe und die nach wie vor Gültigkeit beanspruchen könnten. Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde könnte man deshalb dahingehend deuten, dass beide Gerichte durch die Neuregelung der Wohnformen keine nennenswerten Auswirkungen auf die Vergütung rechtlicher Betreuer erwarten.
Das Landgericht Heilbronn zieht bei seiner Prüfung, ob eine gleichgestellte Wohnform vorliegt, Kriterien heran, die in keinem Zusammenhang mit dem Wortlaut des Gesetzes und der Tätigkeit rechtlicher Betreuer stehen. Die Begründung verdeutlicht, wie wenig offenbar einigen Zivilgerichten über die Tätigkeit rechtlicher Betreuer und deren Abgrenzung von sozialrechtlichen Hilfen bekannt ist. Beispielsweise führt das Gericht die Begleitung zu Arztbesuchen durch Mitarbeiter der Einrichtung und die Hilfebedarfsgruppe für eine Entlastung der rechtlichen Betreuerin an. Das Gericht verkennt, dass rechtliche Betreuung nicht soziale Arbeit ist, sondern die Regelung der rechtlichen Angelegenheiten für eine Person beinhaltet, die hierzu selbst nicht mehr in der Lage ist. Dem Gericht unterläuft der weitere Fehler, dass – wenn überhaupt – eine Entlastung rechtlicher Betreuer bezogen auf die übertragenen Aufgabenkreise zu prüfen wäre. Rechtliche Betreuer, denen allein der Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung übertragen worden ist, werden nicht dadurch entlastet, dass Sozialarbeiter die betreute Person zum Arzt begleiten oder die Kontoführung übernehmen. Allerdings sollten rechtliche Betreuer darauf achten, die Kontoführung nicht den Einrichtungen der Eingliederungshilfe zu überlassen, wenn der Aufgabenkreis Vermögenssorge übertragen worden ist. Hinsichtlich der Rund-um-die-Uhr-Bereuung verlässt sich das Gericht unkritisch auf die Angaben einer Mitarbeiterin der Lebenshilfe, nach der eine ständige Erreichbarkeit gegeben sei. Wodurch diese gewährleistet ist, scheint das Gericht nicht zu interessieren.
Zwar stellt das Landgericht Heilbronn immerhin mit der Prüfung, von wem externe Betreuungsleistungen ausgewählt werden auf ein in § 5 Abs. 3 Satz 3 VBVG genanntes Kriterium ab; die Subsumtion ist jedoch abermals abenteuerlich: Da die Auswahl über die Lebenshilfe – so wörtlich – laufe (?), stünde der betreuten Person wohl auch kein Wahlrecht zu. Dass es insoweit auf die rechtliche Befugnis zur Auswahl ankommen muss und nicht darauf, ob faktisch -möglicherweise über den Kopf der betreuten Person hinweg – Entscheidungen getroffen werden, wird nicht erkannt. Die Begründung gipfelt schließlich in der allgemeinen Aussage, durch die Wohnform werde eine möglichst selbstbestimmte und selbstversorgende Lebensführung mit einer umfassenden Hilfestellung und Beaufsichtigung sichergestellt. Was das mit den vom Gesetzgeber eingeführten Kriterien und einer Entlastung rechtlicher Betreuer zu tun haben soll, bleibt offen.
Wesentlich präziser und zielgerichteter erörtert das Landgericht Karlsruhe die Problematik, indem es maßgeblich auf die vertraglichen Beziehungen des Betreuten mit dem Vermieter und den Anbietern der Pflege- und Betreuungsleistungen abstellt. Nur wenn die Überlassung von Wohnraum und die Pflege- bzw. Betreuungsleistungen rechtlich und personell „aus einer Hand“ erbracht würden, könne von einer gleichgestellten Wohnform ausgegangen werden. In diesem Zusammenhang prüft das Gericht auch die Auswirkungen einer engen rechtlichen und personellen Verknüpfung zwischen den Vertragspartnern der Betreuten (Vermieter / Erbringer der Betreuungs- und Pflegeleistungen). Nicht nur die Identität der Vertragspartner, sondern auch deren enge Verknüpfung habe zur Folge, dass die Leistungen letztlich „aus einer Hand“ erbracht wird. Ob und in welchem Umfang die Vertragsgestaltung eine Entlastung für die Tätigkeit rechtlicher Betreuer mit sich bringt, untersucht das Gericht allerdings nicht.
Die beiden Entscheidungen verdeutlichen, wie dringend eine klärende Entscheidung zur Definition der gleichgestellten Wohnformen durch den BGH ist. Denn während das Landgericht Heilbronn auf ein faktisches Wahlrecht der Betreuten hinsichtlich der externen Betreuungs- und Pflegeleistungen abstellt, prüft das Landgericht Karlsruhe – m.E. zutreffend – ob sich das Wahlrecht aus den rechtlichen Beziehungen der betreuten Person mit dem Vermieter bzw. dem Erbringer der Pflege- oder Betreuungsleistung ergibt.
Unabhängig davon, zeigen beide Entscheidungen, dass die Wohnform nur sehr eingeschränkt als vergütungsrelevantes Kriterium herangezogen werden kann. Denn zum einen werden diese in den Landesgesetzen unterschiedlich definiert und zum anderen verfolgt der Gesetzgeber im Rahmen der „Heimaufsicht“ einen anderen – nämlich ordnungsrechtlichen – Zweck, der mit der Vergütung für rechtliche Betreuer in keinerlei Zusammenhang steht. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Länder stationäre Einrichtungen kontrollieren sollten, hat nichts mit der Frage nach einer angemessenen Vergütung für rechtliche Betreuer zu tun. Aus diesem Grund überzeugt letztlich auch die sorgfältig begründete Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe nicht, in der es um eine gesellschaftsrechtliche Konstellation ging, durch die sich eine Einrichtung – der Gedanke drängt sich auf – der „Heimaufsicht“ entziehen wollte. Im Verlauf seiner Begründung verliert das Gericht deshalb auch den Blick für das im Sinne des Vergütungsrechts Wesentliche; nämlich die Entlastung rechtlicher Betreuer durch die Leistungen einer Einrichtung.
Demgegenüber verfällt das Landgerichts Heilbronn in seiner Entscheidung alten Denkmustern über die Tätigkeit rechtlicher Betreuer. Das Gericht orientiert sich an der grundsätzlich falschen Vorstellung, rechtliche Betreuer würden bei der Erledigung ihrer Aufgaben soziale Arbeit leisten und deshalb durch Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe entlastet. Die nicht enden wollende Vermischung von Aufgaben rechtlicher Betreuer mit den Aufgaben von Sozialarbeitern in Einrichtungen der Eingliederungshilfe führt an dieser Stelle vergütungsrechtlich ins Chaos. Die Kontoführung ist Kernaufgabe der Vermögenssorge, die Teil der betreuungsgerichtlichen Aufsicht ist und die Befugnis zur Stellvertretung voraussetzt. Die Begleitung zu Arztbesuchen ist Aufgabe der anderen Hilfen, solange keine Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit einer betreuten Person bestehen.
Der Gesetzgeber sollte im Zuge der Evaluation des neuen Vergütungsrechts das Kriterium der Wohnform dringend überdenken. Dass rechtliche Betreuer durch sozialarbeiterische Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe hinsichtlich der Erledigung der ihnen übertragenen rechtlichen Angelegenheiten entlastet werden, ist so pauschal unzutreffend.