Frau Eff… und die Versorgungslücken

Frau Eff, Berufsbetreuerin… und die Versorgungslücken

Dem beidseitig beinamputierte Betreuten Herr G. geht es nicht gut, er muss aus seiner Wohnung in die Kurzzeitpflege. Diese befindet sich praktischerweise direkt im Nachbargebäude, so dass der Pflegedienst, der ihn bisher betreut hat, Herrn G. im Rollstuhl dorthin fahren kann. Wenige Stunden nachdem dies geschehen ist, ruft mich das Pflegeheim an und verlangt nachdrücklich, ich solle bitte sofort Bekleidung für Herrn G. bringen. Man erwartet also von mir, dass ich mich ins Auto setze, elf Kilometer quer durch die Stadt fahre und meinen Betreuten mit frischer Unterwäsche versorge. Der Sozialdienst des Heimes, der für diese Heldentat lediglich 50 Meter überwinden müsste, sieht sich dazu nicht in der Lage.

Ich erkläre, dass ich kein Unterwäschetaxi sei, woraufhin mir die Heimleitung triumphierend verkündet, dass sie das wisse, Betreuer müssten Hilfe nicht selbst leisten, sie müssten sie aber organisieren. Was man also wirklich von mir erwartet, ist, dass ich auf dem freien Markt eine Hilfskraft finde und unter Vertrag nehme, das diese Person ins Pflegeheim zu Herrn G. fährt, dort sein Vertrauen gewinnt und den Wohnungsschlüssel entgegennimmt, dann in der Wohnung Wäsche holt und mir darüber eine Rechnung ausstellt. Herr G., der mich kurz darauf auch anruft, berichtet von ein Mißgeschickt, „unten ‚rum, Sie wissen schon“, und dass er dringend frische Unterhosen braucht.

In meiner Not versuche ich es daraufhin beim Pflegedienst, der ja einen Schlüssel zur Wohnung hat und weiß, in welchem Schrank die Unterwäsche liegt. Der Pflegedienst versorgt zahlreiche Personen in dem Gebäudekomplex, in dem Wohnung und Kurzzeitpflege liegen. Wie vermutet, hält man es aber für eine total abwegige Idee, dass Schwester Kerstin, die sonst dreimal am Tag zu Herrn G. fährt, sich um das Wäscheproblem kümmert. Die Gründe sind vielfältig:
Selbstredend sei der ambulante Pflegedienst nicht mehr zuständig, wenn der Patient in der Kurzzeitpflege sei. Und außerdem würde man nie die Wohnung von Patienten betreten, wenn diese nicht zuhause seinen. Nachher hieße es noch, man habe etwas geklaut.

Schon reichlich genervt rufe ich den Geschäftsführer des großen Wohlfahrtverbandes an, dem sowohl die Wohnung, der Pflegedienst und das Seniorenzentrum unterstehen. Ich erzähle etwas von den tollen Versprechen „Hilfen aus einer Hand“ auf der Internetseite des Sozialverbandes und der kilometerweiten Lücke zwischen schönem Schein und Wirklichkeit. Er ist entsetzt, fürchtet wohl auch schlechte Presse und nötigt die Heimleitung, den Sozialdienst zum Wäscheholen loszuschicken. Der tut dies zähneknirschend und ruft mich danach mit folgender Hiobsbotschaft an: In der Wohnung von Herrn G. stinke es furchtbar, das Mittagessen stünde noch auf dem Tisch, zwei volle Urinflaschen neben dem Bett, die Heizung auf volle Pulle, das Klo sei schmutzig und man habe lediglich zwei Garnituren frische Unterwäsche gefunden, der Rest läge als Schmutzwäsche im Bad.

Sie können sich denken, wie zäh und mühsam die Geschichte sich weiter entwickelt. Ich erspare Ihnen Einzelheiten. Trotzdem stellt sich natürlich die Frage, wie man als Betreuer mit all den Zuständigkeitslücken umgeht, die sich im Alltag so auftun. Es ist ja nicht immer Bösartigkeit der Nicht-Zuständigen. Altenheime haben schlichtweg kein Personal, um frische Wäsche und das vergessene Gebiss in ein 60 Kilometer entferntes Krankenhaus zu bringen. Oder: Egal wie sehr jemand, der ins Altenheim umzieht, an seinen Möbeln und Erinnerungsstücken hängt – wenn er niemanden dafür bezahlen kann, bringt ihm die Sachen keiner ins Heim. Das Sozialamt zahlt nicht für so sentimentalen Kram. Auch nicht für einen Stadtbummel, um Kleidung einzukaufen. Pflegeheime, die wissen, dass ihr Sozialdienst die Bewohner beim Bekleidungseinkauf unterstützen muss, bestellen Schuhe, Pullover, Unterwäsche und Hosen ganz einfach im Internet. Oder sie lassen einen Anbieter im Heim eine „Modenschau“ machen, da kann dann jeder selbst wählen. Groß ist die Auswahl jeweils nicht, aber man hat seine Pflicht erfüllt.

Besonders beliebt bei uns rechtlichen Betreuern sind die Lücken, die sich bei notwendigen Begleitungen zu Fachärzten oder in Krankenhäuser auftun. Egal, ob eine Betreute zuhause oder in einem Heim lebt, es gibt in beiden Fällen meistens niemanden, der die Dame zum Beispiel zu einer Untersuchung in eine Augenklinik begleitet. Oder bei einer Krankenhausaufnahme. Grundsätzlich ist man dort so organisiert, dass der Patient, der ja vor Ort ist und Zeit hat, mit einem Laufzettel durchs Haus geschickt wird und jeweils warten muss, bis er bei der Blutabnahme, der Voruntersuchung, dem Röntgen, dem Aufklärungsgespräch mit dem Operateur und der Anästhesie dran ist. Ist der Patient so wenig orientiert, dass er die verschlungenen Wege durch das Labyrinth des Krankenhauses nicht alleine findet, dann… Ja, was dann? Dann heißt es meistens „Sie sind doch für die Gesundheitssorge zuständig, also begleiten Sie als Betreuerin den Mann“. Habe ich am Anfang meiner Tätigkeit sogar wirklich manchmal gemacht. Stundenlang auf miefigen, neonbeleuchteten Krankenhausfluren gewartet, Sätze wie „Der Herr Doktor ist noch im OP“ klaglos hingenommen, meine Anschlusstermine per Handy verschoben. Heute verlange ich die soziale Begleitung vom Krankenhaus, und von den Ärzten konkrete Termine. Länger als zehn Minuten warte ich nicht. Die Alternative ist dann Telefon und Fax.