Beschluss des Amtsgerichts Wedding vom 30.12.2024 – 504 XVII 969/24
I.
Das Amtsgericht Wedding hat einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Justizkasse wegen verspäteter Auszahlung der Vergütung bejaht und wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Beschwerde beim Landgericht zugelassen. Ob der Beschluss rechtskräftig geworden ist, ist nicht bekannt.
Einem Betreuer war auf seinen Antrag durch einen Dauervergütungsbeschluss ab dem 01.06.2023 eine quartalsweise Vergütung in Höhe von 234,00 € bewilligt worden, die laut Beschluss jeweils am 01.09., 01.12., 01.03. und 01.06. fällig werde und auszuzahlen sei. Nachdem die Vergütung für den Zeitraum vom 01.12.2023 bis 31.05.2024 auf dem Konto des Betreuers erst am 28.06.2024 eingegangen war, beantragte der Betreuer die Festsetzung eines Verzugsschadens in Höhe von 88,73 Euro (40,00 Euro Pauschale gem. § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 5 % – Punkten über dem Basiszinssatz). Die zuständige Rechtspflegerin wies den Antrag mit der Begründung zurück, die Regelungen über den Verzug im BGB (§§ 286 ff. BGB) fänden auf die Betreuervergütung keine Anwendung. Darüber hinaus wies sie auf eine Anweisung der Senatsverwaltung für Justiz hin, nach der die Vergütung manuell ausgezahlt werden müsse und folglich eine Auszahlung zu den im Dauervergütungsbeschluss genannten Zeitpunkten praktisch nicht möglich sei. Gegen diese Entscheidung legte der Betreuer Erinnerung ein. Er vertrat die Auffassung, dass eine Anweisung der Senatsverwaltung aufgrund der Unabhängigkeit der Rechtsprechung nicht bindend sein könne und die §§ 286 ff. BGB auch für Ansprüche nach dem VBVG gelten müssten. Die Rechtspflegerin half der Erinnerung nicht ab und legte diese der zuständigen Betreuungsrichterin zur Entscheidung vor.
Das Betreuungsgericht folgte der Argumentation des Betreuers und hielt die Erinnerung für zulässig und begründet. Zunächst sei das Betreuungsgericht sachlich zuständig und müsse ein Verzugsschaden nicht vor einem Zivilgericht eingeklagt werden. Dies leitet das Gericht aus dem engen Zusammenhang zwischen der Betreuervergütung und dem damit unmittelbar zusammenhängenden Verzugsschaden ab. Da ohne Vergütungsanspruch kein Verzugsschaden entstehen könne, handele es sich bei dem Anspruch auf Ersatz eines Verzugsschadens um eine sogenannte akzessorische Nebenforderung, die vor demselben Gericht geltend gemacht werden müsse, wie der Vergütungsanspruch selbst.
Das Gericht bejaht auch einen Schadensersatzanspruch des Betreuers und setzt sich zunächst mit der schwierigen Rechtsfrage auseinander, ob die §§ 286 ff. BGB – die grundsätzlich den Schuldnerverzug für vertragliche Schuldverhältnisse zwischen Privatpersonen regeln, auch in dem vom öffentlichen Recht beeinflussten Rechtsverhältnis – vgl. zum Beispiel das BtOG als Teil des öffentlichen Rechts – zwischen einem Betreuer und dem Staat gelten. Das Gericht bejaht dies, weil die §§ 286 ff. BGB auch im öffentlichen Recht entsprechend anzuwenden seien, insbesondere der Gesetzgeber im Vormünder- und Betreuungsvergütungsgesetz die Betreuervergütung hinsichtlich eines möglichen Verzugsschadens nicht habe abschließend regeln wollen. Unabhängig davon meint das Gericht, dass sich der Vergütungsanspruch eines Betreuers gegen den Betreuten richte und folglich privatrechtlicher Natur sei. Allein die Tatsache, dass im Regelfall – nämlich bei Mittellosigkeit des Betreuten – der Staat für die Vergütung aufkomme, habe nur zur Folge, dass der Vergütungsanspruch des Betreuers im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs auf den Staat übergehe (§ 16 Abs. 2 VBVG, § 1881 Satz 1 BGB). Das ändere aber nichts an der Rechtsnatur des Anspruchs, der auch nach dem Forderungsübergang ein privatrechtlicher Anspruch bleibe. Hierfür spreche auch der Sinn und Zweck der Regelungen über den Schuldnerverzug im BGB (Zitat):
„Mit der Gestaltung der beruflichen Betreuung wird gerade anerkannt, dass geeignete ehrenamtliche Betreuer nicht in ausreichender Weise zur Verfügung stehen. Damit geht aber zwingend einher, dass beruflichen Betreuer in die Lage versetzt werden müssen, von ihrer Tätigkeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und ihren Bürobetrieb aufrechtzuerhalten. Sofern daher der Schuldner mit der gesetzlich geschuldeten Vergütung in Verzug ist, greifen die Verzugsvorschriften.“
Das Gericht bejaht auch ein – wenn auch nicht vertragliches – so doch ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen rechtlichen Betreuern und den von ihnen betreuten Personen. Denn aus den Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch über die rechtliche Betreuung ergäben sich konkrete wechselseitige Rechte und Pflichten, was zum Beispiel aus § 1821 BGB und der Pflicht des Betreuten zur Zahlung einer Vergütung folge.
Abschließend prüft das Gericht die Voraussetzung des Verzuges, der grundsätzlich die schuldhafte Nichtleistung trotz Fälligkeit und Mahnung voraussetzt (vgl. § 286 Abs. 1 BGB). Fälligkeit bezeichnet den Zeitpunkt, von dem ab der Gläubiger (Betreuer) die Leistung (Vergütung) verlangen kann. Ist eine Zeit für die Leistung bestimmt – wie hier im Dauervergütungsbeschluss – ist im Zweifel davon auszugehen, dass ab diesem Zeitpunkt die Leistung fällig wird (vgl. § 271 Abs. 2 BGB). Der Einwand der Rechtspflegerin, während eines Vergütungszeitraumes könnten sich die Vergütungskriterien ändern, könne an der verbindlichen Fälligkeitsregelung in dem Dauervergütungsbeschluss nichts ändern, da der Gesetzgeber laut Gesetzesbegründung dieses Risiko erkannt und bewusst eingegangen sei. Im Einzelfall müssten bei einer Überzahlung zu viel gezahlte Beträge zurückgefordert werden. Das ändere aber nichts an dem Fälligkeitszeitpunkt in dem Dauervergütungsbeschluss.
Einer Mahnung durch den Betreuer bedurfte es für den Verzug ausnahmsweise nicht, weil durch den Dauervergütungsbeschluss für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt war (vgl. § 286 Abs. 2 Nr. 1BGB). Die Vergütung sei auch schuldhaft nicht ausgezahlt worden. Die Auszahlung liege im Verantwortungsbereich der Justiz und könne nicht durch eine vom geltenden Recht abweichende Anweisung der Senatsverwaltung (Exekutive) verhindert werden. Da Berufsbetreuer freiberuflich tätig sind, ihre Forderung also nicht als Verbraucher geltend machen, bestanden hinsichtlich der von dem Betreuer verlangten Pauschale (40,00 Euro) keine Bedenken (§ 288 Abs. 5 Satz 1 BGB).
II.
Die Entscheidung des Amtsgerichts Wedding bezieht sich ausdrücklich auf einen Dauervergütungsbeschluss und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer umstrittenen bzw. missverständlichen Verwaltungsanordnung der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz im Land Berlin, hinter der sich einige Rechtspfleger zum Teil „versteckt“ haben, um keine Dauervergütungen anzuordnen bzw. die verspätete Auszahlung zu rechtfertigen. Auf dieses berlinspezifische Problem soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden, weil für Berufsbetreuer die Frage von größerer Relevanz ist, ob sie grundsätzlich bei verspäteten Vergütungsauszahlungen einen Verzugsschaden geltend machen können. Insoweit sind –-jedenfalls von den Landgerichten und vom BGH – einige Rechtsfragen noch nicht geklärt, sodass die Zulassung der Beschwerde durch die Betreuungsrichterin nahelag und eine landgerichtliche Entscheidung wünschenswert wäre. Das gilt insbesondere für die sachliche Zuständigkeit der Betreuungsgerichte und die Anwendbarkeit der §§ 286 ff. BGB auf den Vergütungsanspruch rechtlicher Betreuer gegen die Landesjustizkassen, die rechtsdogmatisch vom Amtsgericht Wedding mit einer überzeugenden Begründung bejaht werden.
Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber – weitgehend unbemerkt – den Betreuern wohl in Kürze das erst am 01.01.2023 zugestandene Recht, die Festsetzung einer Dauervergütung zu beantragen, wieder entziehen wird, relativiert sich leider die Bedeutung der Entscheidung erheblich. Offenbar hatte der Gesetzgeber 2023 nicht vorausgesehen, dass einige Rechtspfleger mit der Ermessensausübung und den dabei zu berücksichtigenden Kriterien überfordert waren. Letzteres hatte mehrfach die Aufhebung von Beschlüssen zur Folge, durch die Betreuern eine Dauervergütungsfestsetzung versagt worden war (vgl. zuletzt Landgericht Münster, Beschluss vom 13.10.2024 – 05 T 464/24). Hinzu kamen technische Probleme an vielen Betreuungsgerichten, die aber keine Rechtfertigung für die Versagung einer Dauervergütung sein können.
Erfreulich wäre es, wenn Betreuer mit Rechtsbehelfen bei verspäteten Vergütungsauszahlungen darauf hinwirken würden, dass durch die Rechtsprechung die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens gegen die Landesjustizkassen geklärt würden. Denn der Gesetzgeber scheint sich – trotz teilweise anders lautender Ankündigungen – dem Problem entziehen zu wollen.
Beantragen Berufsbetreuer die Festsetzung der Vergütung im Einzelfall – was derzeit immer noch die Regel sein dürfte – richtet sich die Fälligkeit der Vergütung nach § 15 VBVG; also nach dem Abrechnungszeitraum. Ist dieser verstrichen, liegen noch nicht die Voraussetzungen für einen Verzug vor. Betreuern ist dringend zu raten, die Auszahlung der Vergütung anzumahnen (vgl. § 286 Abs. 1 BGB), bevor sie die Festsetzung eines Verzugsschadens beantrage. Denn in § 15 VBVG wird – anders als in dem Dauervergütungsbeschluss, der der Entscheidung des Amtsgerichts Wedding zugrunde liegt – für die Auszahlung der Vergütung keine nach dem Kalender bestimmte Zeit festgelegt.