Offener Brief an den Bundesgesundheitsminister, Herrn Jens Spahn:
Berlin, 23.02.2021
Sehr geehrter Herr Minister,
der Bundesverband freier Berufsbetreuer (BVfB) vertritt die Interessen selbständig tätiger Berufsbetreuer. In Deutschland üben ca. 16.100 Personen den Beruf rechtlicher Betreuer aus, von denen nach einer Schätzung des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik über 80% freiberuflich tätig sind.
Wir halten wenig davon, wenn sich Berufsgruppen im Zuge der geplanten Änderungen der Coronaimpfverordnung bei der Festlegung der Prioritäten meinen „vordrängeln“ zu müssen. Allerdings haben wir etwas dagegen, wenn einige Bundesländer die Vorgaben des Bundes missachten bzw. abwegige Reihenfolgen bei den Angeboten für eine Schutzimpfung festlegen.
Während nach unserem Kenntnisstand in Süddeutschland rechtlichen Betreuern zusammen mit Betreuungsrichtern eine Schutzimpfung mit höchster Priorität angeboten wird, scheint man einer Pressemitteilung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales zufolge, in Nordrhein-Westfalen vorrangig Rechtspflegern ein entsprechendes Angebot unterbreiten zu müssen; rechtlichen Betreuern aber nicht. Abgesehen davon, dass diese landesspezifischen Unterschiede in der Bevölkerung auf Unverständnis stoßen, halten wir die in Nordrhein-Westfalen festgelegte Reihenfolge für verantwortungslos und nicht mehr vermittelbar.
Der Bund hat bislang deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Berufsgruppen vorrangig einen Anspruch auf eine Schutzimpfung erhalten sollen, wenn sie regelmäßig Kontakte mit Personen eingehen, bei denen im Falle einer Infektion ein erhöhtes Risiko für einen schwerwiegenden Verlauf der Erkrankung besteht. Auf Grund des Alters und der Vorerkrankungen der von unseren Mitgliedern betreuten Menschen, ist dieses Risiko in zahlreichen Fällen gegeben.
Es liegt nahe, rechtlichen Betreuern und Betreuungsrichtern möglichst bald Schutzimpfungen anzubieten. Denn beide Berufsgruppen haben die Pflicht, sich entweder regelmäßig oder anlässlich bestimmter, richterlich anzuordnender Entscheidungen, einen persönlichen Eindruck von den Betroffenen in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder sonstigen ambulanten oder stationären Einrichtungen zu verschaffen. Für rechtliche Betreuer kommt die Pflicht zur Besprechung wesentlicher rechtlicher Angelegenheiten hinzu.
Vor diesem Hintergrund haben wir kein Verständnis dafür, wenn in Nordrhein-Westfalen und andernorts eine Berufsgruppe, die nahezu ausschließlich einer Bürotätigkeit nachgeht, vorrangig geimpft werden soll. Persönliche Anhörungen der Betreuten durch Rechtspfleger sind rechtlich nicht verpflichtend und finden in der Praxis so gut wie nicht statt.
Wir möchten Sie daher eindringlich bitten, sich bei den anstehenden Diskussionen für eine vernünftige und sachlich begründete Reihenfolge bei den Impfangeboten einzusetzen. Eine Ungleichbehandlung zwischen Betreuungsrichtern und rechtlichen Betreuern wäre für uns ebenso unverständlich wie vorrangige Impfangebote für Rechtspfleger.
Mit freundlichen Grüßen
Walter Klitschka
Erster Vorsitzender des BVfB