Frau Eff… besucht eine Fachtagung

Frau Eff, Berufsbetreuerin… besucht eine Fachtagung

Um ein bisschen über den alltäglichen Tellerrand zu schauen und neue Ideen in den Kopf zu bekommen, hat Frau Eff kürzlich mal wieder an einer Fachtagung teilgenommen. Mehrere hundert Menschen aus psychosozialen Berufen trafen sich unter dicken Kronleuchtern mitten in Deutschland. Die Tagung begann um 13 Uhr mit der Anmeldung, wo zusammen mit der Tagesordnung Bonbons und Lakritz ausgeteilt wurden. Da hätte ich schon stutzig werden sollen.

Nach wortreichen und inhaltsleeren Begrüßungen durch den Tagungsmoderator, den Bürgermeister, den Vorsitzenden des veranstaltenden Vereins und den Regionalvorsitzenden des veranstaltenden Vereins folgte ein Grußwort einer europäischen Dachorganisation, fünfzehn Minuten lang, auf Englisch. Danach war die erste Stunde vergangen und alle kaffeereif. Kaffee gab es aber noch lange nicht, stattdessen hatte man den Beamer mit dem Logo des veranstaltenden Vereins und dem Tagungsmotto auf eine lustige Rotation eingestellt, die alle im Bann hielt.

Übergangslos trat der erste Referent ans Mikro, stellte sich als Psychiatriemitarbeiter im Ruhestand vor und las dann über eine Stunde lang seinen Vortrag vor. Inhalt: Es war mal viel schlimmer, wir Psychiatriereformer haben tolle Arbeit geleistet und viel erreicht, die gesellschaftlichen und politischen Umstände bedrohen unsere Arbeit, wir dürfen nicht den Mut verlieren und müssen weitermachen. Das alles gespickt mit zahlreichen Zitaten von alten Päpsten und Albert Einstein, ohne jeden Humor, ohne Beispiele aus der Praxis, dafür aber mit hörbar wachsender Freude am Fabulieren und an komplizierten Sätzen. Immer wenn man hoffe, er sei jetzt am Ende, begann der nächste Satz mit „Dann will ich nochmal zusammenfassen“.
In der Reihe vor mir waren inzwischen alle mit ihren Mobiltelefonen beschäftigt, hinter mir wurde lautstark Weihnachtsgebäck verknuspert und geredet, neben mir gegähnt.
Nach Referent Nummer Eins kam nicht etwa direkt Referent Nummer Zwei, sondern der Moderator, der feststellte, dass der Zeitplan schon jetzt im Eimer, aber ja alles so total interessant sei, und man gerne eine Pause machen würde, aber das würde ja alles noch mehr verzögern. Bevor er das Mikrofon übergab, nutzte der Moderator die Gelegenheit auch seine progressive Haltung zur psychosozialen Situation in Deutschland mit gefühlten zwanzig Sätzen anzudeuten.

Referent Nummer Zwei konstatierte auch gleich die Zeitnot, und dass er seinen Vortrag arg gekürzt habe, nämlich um die Zweifel und Ausnahmen, die er aber doch gerne mit drei Worten anreißen würde. Nach 30 Minuten war Frau Eff einer Ohnmacht nahe und ist zum Kaffeetisch nach draußen geflüchtet, wo etliche andere Erschöpfte und der nette Büchertisch des Psychiatrieverlages Trost und Verständnis boten. Außer Getränken und steinhartem Obst gab es nichts zu essen, was in der Pause besonders bitter für diejenigen war, die seit sechs Uhr morgens mit Bus und Bahn quer durch Deutschland unterwegs waren.

Ich schreibe über all dies, weil es nicht die erste Fachtagung ist, die mir die Nerven raubt. Ich kann diese selbstgefälligen Endlosredner nicht mehr hören, die alle nichts Falsches sagen, aber auch wirklich nichts Neues. Ich weiß, dass das Geld knapp und das Vokabular von „Kunden“ und „Qualitätsmanagement“ Bockmist ist, und dass die Angebote an die Hilfesuchenden individuell gestaltet werden müssen (wie denn sonst?). Für 170 Euro Teilnehmergebühr erwarte ich mehr: Geübte Redner (und keine Vorleser) mit Humor und einer klaren Einbindung ihrer Ideen in die Praxis. Kurze Beiträge, visualisierte Informationen, tatsächliche Denkanstöße. Mir sind provokante Thesen lieber als diese cordjackenbemäntelten Anekdoten der Veteranen und die Allgemeinplätze der Vorsitzenden. Und ich würde mich sehr freuen, wenn in der Pause nicht 150 Menschen vor einer Kaffeekanne schlangestehen müssten. Tagungsveranstalter, halbiert die Rednerlisten, bestellt preiswerten, leckeren Streuselkuchen, bietet Sitzgelegenheiten und Zeit für Gespräche und Austausch.

Tatsächlich bot die Tagung im weiteren Verlauf dann doch noch ein paar bemerkenswerte Ideen. Ein Redner berichtete vom erfolgreichen Aufbau von Home-Treatment statt Klinikeinweisungen – Klinikärzte besuchen ihre Patienten zuhause unter dem Motto „Warum im Zoo behandeln, anstatt im Dschungel tätig zu werden“. Und ein anderer fragte, warum man im psychosozialen Bereich immer von non-profit-Unternehmen reden würde. Das höre sich so nach „nichtsnutzig“ an. Stattdessen solle man social-profit-Unternehmen sagen, die der Gesellschaft viel Geld sparen würden. Wie wahr.