Frau Eff… und die Selbstbestimmung

Fotolia_FrauEffFrau Eff, Berufsbetreuerin… und die Selbstbestimmung

„Wären Sie denn damit einverstanden, dass Frau Eff in Zukunft ihre rechtliche Betreuerin ist und alles Notwendige für Sie regelt?“, fragt der Richter mit lauter, nachdrücklicher Stimme nun schon zum dritten Mal die alte Dame, die ihn mit angsterfüllten Augen anschaut. Vor drei Wochen ist sie böse gestürzt, die Anhörung findet im Krankenhaus statt, der Arzt hat ihr gesagt, sie könne auf keinen Fall mehr zurück in ihre Wohnung.

„Sie sehen doch selbst, dass Sie mit Ihrer Suchterkrankung nicht mehr alleine klar kommen. Wenn Sie nicht einwilligen, hier im Wohnheim einen neuen Anfang zu machen, sehe ich schwarz für Ihre Zukunft. Sie müssen sich jetzt mal dazu äußern, also: Ja oder Nein?!“. Der Abteilungsleiter des Heimes will eine Entscheidung. Ohne eine Willensbekundung, einen „Auftrag“ des Klienten, sagt er, wolle er ihn nicht aufnehmen.

„Aber die Dreimonatsspritze ist doch viel praktischer, als die Pille! Da musst Du nicht jeden Tag eine Tablette nehmen“, wird der lernbehinderten Daniela beim Frauenarzt von der Mitarbeiterin des Behindertenwohnheims eindringlich nahe gelegt. Die Gynäkologin hat die Spritze schon in der Hand. Daniela guckt skeptisch und verschränkt die Arme.

„Warum wollen Sie die Freiwilligkeitserklärung denn nicht unterschreiben? Jetzt sind wir so schön in Ruhe hier hergefahren. Der Arzt sagt auch, dass es besser wäre, wenn Sie erstmal ein paar Tage hier bleiben“, sage ich zu meiner von Wahnvorstellungen geplagten Betreuten auf der Akutstation der Klinik. In meinem Kopf rattert es: „Komm, los, mach schon! Sonst muss ich gleich vom Büro aus noch einen Antrag auf Unterbringung ans Gericht faxen. Und dem Arzt wegen des Attests hinterherlaufen…“

Jeder von uns kennt solche Situationen. Wir, und die anderen Profis um uns herum, sind begabt in der Kunst der Suggestion, wenn es darum geht, den Klienten die Illusion der Selbstbestimmung zu geben. In vielen Fällen verkaufen wir das Unvermeidliche als freien Willen und nageln die Betroffenen später damit fest. „Sie haben den Heimvertrag selbst unterschrieben“ oder „Im Beschluss steht schwarz auf weiß, dass Sie eine Betreuerin wollen, jetzt müssen Sie auch mit mir zusammenarbeiten“, heißt es dann. Nur: Der Mensch wollte eigentlich niemanden, mit dem er arbeiten muss. Er wollte einen Vertrauten, einen Freund, und ist jetzt bitter enttäuscht.

Auch viele der mühevoll erarbeiteten individuellen Hilfepläne mit ihren vernünftigen Zielen sind für die Betroffenen manchmal eine Form der Nötigung. Sie wissen, dass sie den Prioritäten der Helfer nicht widersprechen sollten, aber sie merken auch, dass ihre eigenen Prioritäten auf einem ganz anderen Blatt stehen. Gesunde Ernährung kommt da vor Handy mit Internetzugang. Regelmäßig Putzen ist wichtiger als Weihnachtsdekoration. Erst neue Schuhe dann Fußball-Trikot. Arbeitsstelle in der Werkstatt sticht Leergutsammeln am Bahnhof.

Besonders interessant wird es beim Persönlichen Budget. Hier heißt es in der Broschüre der Eingliederungshilfe:
„Somit entscheiden sie selbst, welche Hilfen für sie am besten sind und welcher Dienst und welche Person zu dem von ihnen gewünschten Zeitpunkt eine Leistung für sie erbringen soll.“

Einer meiner Betreuten ist beispielsweise der Ansicht, dass seine fehlenden Sexualkontakte der Grund für seine seelische Behinderung sind. Er ernährt sich fast ausschließlich von Toastbrot und Schmierkäse, um sich Besuche im „Herzchenwagen“ leisten zu können, einem Angebot der örtlichen Prostituierten in einem klapprigen Wohnwagen. Nach einem Date mit Sexy-Samira ist der Herr wieder in der Lage, sich Fragen der Wäschepflege oder notwendigen Zahnarztbesuchen zuzuwenden. Würde ich ihm die Idee des Persönlichen Budgets erläutern, wäre er hellauf begeistert, da bin ich sicher.

Nur leider geht es meistens ja nicht darum, verquere Lebensentwürfe zu stützen oder Wünsche zu erfüllen. In der Regel ist der Auftraggeber auch nicht der Betreute, sondern eher die Gesellschaft. Der Mensch soll wieder in die Gemeinschaft eingetaktet werden, er soll so funktionieren, dass er nicht so sehr stört.

Und ich höre sie schon alle, meine Kolleginnen und Kollegen: „Aber Frau Eff, wie können sie nur so etwas sagen! Wir sind doch die Guten! Ohne uns und Betreutes Wohnen und Gemeindepsychiatrie und und und wären die Leute doch verratzt und verkauft. Die würde man doch alle wegsperren oder der Verelendung preisgeben“. Ja, das sehe ich auch so. Aber man sollte sich trotzdem ab und zu klar machen, dass eine ehrliche Standortbestimmung vor Illusionen schützt.