Rechtsverwirklichung durch Infrastruktur im Betreuungswesen

Rechtsverwirklichung durch Infrastruktur im Betreuungswesen – Chancen eines Systemwandels von der justizförmigen  zur sozialrechtsförmigen Betreuung 

Dr. Jörg Tänzer
Aachen 2009 : ISBN 978-3-8322-8172-4

Die Arbeit erstellt eine Inventur der Infrastruktur im Betreuungswesen und entwickelt Vorschläge für eine Strukturreform des Betreuungsrechts, die nach der Veröffentlichung des Evaluationsberichts der Bundesregierung zum 2. Betreuungsrechts-Änderungsgesetz nach der Bundestagswahl zu erwarten ist.
Neben den staatlichen Akteuren Vormundschaftsgericht und Betreuungsbehörde werden vor allem Status und Rechtsbeziehungen der Akteure betrachtet, die Adressaten staatlicher  Steuerungsbemühungen sein können, nämlich die berufsmäßigen Betreuer in selbständiger und vereinsrechtlicher Unternehmensform.

Der Untersuchung liegen zwei Prämissen zugrunde:

  • die ehrenamtliche Betreuung wird gegenüber der Berufsbetreuung weiter an Bedeutung verlieren. Demographische und gesellschaftliche Trends führen zu einer wachsenden Zahl solcher Betreuungsverhältnisse, die nur durch professionelle Betreuer wahrgenommen werden können.
  • Justizförmigkeit und Justizzentrierung der Prozesse der Betreuung behindern die Erreichung der Ziele des Betreuungsgesetzes 1992; die Implementierung sozialrechtlicher Elemente in das Betreuungswesen und die Organisation der rechtlichen Betreuung als Sozialleistung würde die Betreuungsinfrastruktur stärken.

In Abgrenzung zur unklar gebliebenen Formulierung der „sozialen Betreuung“ wird der Begriff der „sozialrechtsförmigen“ Betreuung entwickelt.

Die Infrastrukturvoraussetzungen der Gewinnung und Unterstützung ehrenamtlicher Betreuer und Vorsorgebevollmächtigter sind nicht aufgabenangemessen. Die bestehenden Regelungen blockieren vielmehr die Durchsetzung des politisch gewollten Vorrangs der Ehrenamtlichkeit:

  • die Rolle der Betreuungsbehörden ist gesetzlich zu schwach ausgestaltet
  • eine angemessene Finanzierung der Betreuungsvereine wird nicht gewährleistet
  • eine weitere Stärkung der Vorsorgevollmacht wird das Grundproblem der zurückgehenden Verfügbarkeit ehrenamtlicher Betreuungspersonen nicht lösen
  • die Bevollmächtigung ungeeigneter Personen, nur um Betreuungskosten zu reduzieren, wird hingegen zur Verschlechterung der Qualität der Rechtsbesorgung führen.

Die Darstellung der  verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und Umsetzungsmöglichkeiten einer Modifizierung der Betreuungsinfrastruktur in Bund, Ländern und Gemeinden ergibt, dass nur die Länder Adressaten einer bundesrechtlich initiierten Strukturreform sein können, weil die Föderalismusreform den Weg zu einer substanziellen Stärkung der Kompetenzen der Betreuungsbehörden durch Bundesgesetz endgültig versperrt hat.

Wegen des Sach- und Finanzierungszusammenhanges sollen die Aufgaben, die nicht bei der Justiz verbleiben sollten – sowie einige der heute von örtlichen Betreuungsbehörden erfüllten Aufgaben – nicht etwa kommunalisiert werden, sondern auf Landesbehörden übergehen, die als Sozialleistungsträger („Träger der Betreuungshilfe“) deutlich mehr Kompetenzen als die heutigen überörtlichen Behörden hätten.

Die wichtigste dorthin zu übertragende Aufgabe wäre die sozialgutachterliche Prüfung der Notwendigkeit der Betreuung und der Verfügbarkeit betreuungsvermeidender anderer Hilfen.  Die Gewährleistung eines Beratungsanspruches der ehrenamtlichen Akteure (Betreuer, Bevollmächtigte und Angehörige) durch die Länder im Wege eines Gutscheinsystems würde die Effektivität betreuungsvermeidender Anstrengungen verstärken.

Auch die Qualifikationsanforderungen an die Berufsbetreuer als Infrastrukturvoraussetzung sind gesetzlich unzureichend normiert. Kriteriengestützte Betreuereignungsprüfungen durch die örtlichen Behörden bedürfen als Eingriffe in das Grundrecht der Berufsfreiheit einer gesetzlichen Grundlage.

Die gegenwärtigen Vergütungspauschalern basieren auf Bemessungskriterien, die entgegen der Gesetzesbegründung tatsächlich nicht von Bedeutung für den tatsächlichen Zeitaufwand der Betreuer sind. Weil Systeme mit einseitiger Vergütungsfestsetzung auf der Basis zu vieler Kriterien aber vollends dysfunktional werden, wird als Alternative die Aushandlung von Vergütungen, ähnlich wie Kostensätze anderer Sozialleistungsbereiche, auf der Basis einer Typologie von Fallschwierigkeiten als Bemessungskriterien entwickelt.