Betreuungsvereine sollen ihr Ehrenamtler-Potential bei Gericht und Behörden besser „vermarkten“

Baden-Württembergisches Forschungsprojekt sieht unterschiedliche Einschätzungen zum Ehrenamt

Querschnittsmitarbeiter der Betreuungsvereine in Baden-Württemberg machen ungenutzte Potentiale unter ihren ehrenamtlichen Betreuern auch zur Bestellung in schwierigeren Fällen geltend, während Richter und Behörden solche Fälle vorrangig Berufsbetreuern übertragen würden. Dies ist eines der Erkenntnisse, die der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (Überörtliche Betreuungsbehörde) mit seinem Forschungsvorhaben  „Strukturen der rechtlichen Betreuung in Baden-Württemberg und Chancen der Weiterentwicklung“ gewonnen hat.

Wie bei gegenwärtig fast allen betreuungsbehördlichen Aktivitäten bundesweit ging es auch dem KVJS darum, Ansatzpunkte für die Reduzierung der Zahl berufsmäßiger Betreuungen zu finden. Das Forscherteam erhob Strukturdaten und befragte Richter, Behörden- und Vereinsmitarbeiter, jedoch keine selbständigen Berufsbetreuer oder Verbände. Durchgeführt wurde die Untersuchung von Prof Dr. Sigrid Kallfaß und Vera Kallfaß, Steinbeis Innovationszentrum Sozialplanung, Qualifizierung und Innovation Weingarten (SIZ) sowie Prof. Paul-Stefan Roß und Andrea Müller, Institut für angewandte Sozialwissenschaften an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart (IfaS).

In der Zusammenfassung des Schlussberichts wird festgestellt, dass die Bereitschaft der Menschen, ehrenamtlich rechtliche Betreuungen zu führen, in etwa gleich geblieben sei. Vorsorgevollmachten ersetzten jedoch zunehmend Betreuerbestellungen. Die relative Abnahme des Anteils ehrenamtlich geführter Betreuungen ergebe sich dann aus der absoluten Zunahme der Gesamtzahl der Betreuungen. Ursachen dafür seien die abnehmende Tragfähigkeit familiärer Strukturen, die zunehmende Komplexität der sozialen Leistungsbereiche und der Abbau präventiv wirksamer sozialer Dienste. Die relative Zunahme beruflicher Betreuungen folge aus mehr schwierigen bzw. komplexen Betreuungen wie z.B. auf Grund psychischer Erkrankungen, der Bevorzugung von Berufsbetreuern durch die Betreuungsgerichte und der kurzfristigen Bereitschaft zur Übernahme von Betreuungen seitens der Berufsbetreuer.

Nach der KVJS-Untersuchung widersprechen Betreuungsvereinsmitarbeiter der Einschätzung der Richter und Betreuungsbehördenvertreter, Ehrenamtler seien mit komplexen und schwierigen Fällen überfordert. Sie wollen nicht erst dann auf die Benennung von ehrenamtlichen Betreuern angefragt werden, wenn die Entscheidung für einen Ehrenamtler schon getroffen wurde, sondern schon vorher. Mehr geeignete ehrenamtliche Betreuer zu finden sei aber nur mit mehr Personal möglich, werden die Befragungsergebnisse der Vereine wiedergegeben.

Baden-Württemberg hatte am 31.12.2010 mit 10,05 Betreuungen pro 1.000 Einwohner traditionell die geringste Betreuungsquote aller Bundesländer und wies mit 64,36 % einen überdurchschnittlich hohen Anteil ehrenamtlicher Betreuer an allen neuen Betreuerbestellungen auf (Quelle: Bundesamt für Justiz/Horst Deinert).