Ohne Behinderung oder Krankheit gibt es keine rechtliche Betreuung – Daran wird auch die UN-BRK nichts ändern

In der aktuellen Diskussion um die UN-BRK und das deutsche Betreuungsrecht wird immer wieder auf die Selbstbestimmung der Betreuten und die Förderung der eigenen Fähigkeiten verwiesen. Es wird von einem Paradigmenwechsel geredet, man schaue nicht auf die Defizite, sondern auf die Fähigkeiten eines Menschen. Das ist nach Ansicht des BVfB im Betreuungsrecht eine Mogelpackung, die weder durch das deutsche Gesetz noch durch die UN-BRK so eingefordert wird. Richtig ist, dass der Schwerpunkt bei der Kompensierung von Defiziten nicht mehr auf der Fürsorge liegt, sondern positiv formuliert auf der Verwirklichung von Menschenrechten.

Aus dem Kommentar der Monitoringstelle zur UN BRK (Nov. 2011): „Zum einen hat sich Deutschland durch die Ratifikation der UN-BRK zu einem Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik bekannt: weg von der Fürsorge hin zur Verwirklichung von Menschenrechten. Dieser Paradigmenwechsel hat weitreichende Folgen.“
Zur Verwirklichung von Menschenrechten gehört aber unter Umständen der Fürsorgegedanke, im Betreuungsrecht die Stellvertretung.

Hilfe und Unterstützung durch den Staat wird nur gegeben, wenn es darum geht, krankheitsbedingte oder behinderungsbedingte Defizite auszugleichen. Jeder von uns kauft sich – wenn er es sich leisten kann – unabhängig vom Staat im täglichen Leben Hilfe ein; beauftragt zum Beispiel einen Steuerberater oder lässt sein Auto von einem Kfz-Mechaniker reparieren. Auch insoweit geht es letztlich nur darum, eigene Defizite auszugleichen, entweder mangelndes Wissen oder Können oder mangelnde zeitliche Kapazitäten. Also auch im täglichen Leben ist Hilfe defizitorientiert, aber eben nicht krankheitsbedingt.

Noch viel schärfer muß diese Orientierung beachtet werden, wenn der Staat Steuergelder ausgibt, um individuelle Hilfe zu gewährleisten. Dies gilt in der Eingliederungshilfe und damit der Sozialarbeit entgegen der landläufigen Ideologie ebenso. Hier müssen die zuständigen Stellen einen krankheitsbedingten Hilfebedarf feststellen. Eine Soziale Hilfe wird nicht gewährt, ohne die Feststellung der „Anlasserkrankung“.

Viel weiter gehender als in der Eingliederungshilfe wird im Betreuungsrecht definiert, dass eine Erkrankung oder Behinderung die Erledigung der eigenen Angelegenheiten unmöglich macht. Wer selbstverantwortliche Entscheidungen treffen und diese Entscheidungen auch wirksam umsetzen kann bedarf keines rechtlichen Betreuers. Allein ein Hilfebedarf rechtfertigt keine Betreuung.

Wer diesen Grundsatz missachtet, trägt dazu bei, dass das System unfinanzierbar wird. Einen Hilfebedarf in einzelnen Angelegenheiten haben fast alle Menschen; Menschen, die in ihrer Entscheidungsfähigkeit nicht eingeschränkt sind werden sich solche Hilfen kaufen oder anderweitig besorgen (Dienstleistungen, Familie, Freunde, Nachbarn). Hier wird der Staat zurecht keine Mittel aufbringen, um Unterstützung zu geben (Abzugsfähigkeit bei den Steuern nehme ich mal aus). Der Staat wird nur eingreifen, wenn die Ursache für den Hilfebedarf krankheitsbedingt ist. So funktioniert unsere Solidargemeinschaft. Eine Verabschiedung von den sicher im Einzelfall nicht immer trennscharfen Begriffen Erkrankung und Behinderung, als zentrale Voraussetzung für die Einrichtung einer Betreuung, wäre im Betreuungsrecht töricht und unverantwortlich.

Die Beschreibung eines betreuungsrechtlich relevanten Unterstützungsbedarfes auf Grund von Barrieren, die von außen kommen, ist weder rechtlich möglich noch wünschenswert. Konsequent würde dann aus einem fehlenden Aufzug im Einkaufscenter ein individueller Anspruch auf staatliche Unterstützungsleistungen abgeleitet werden können. Dass dies nicht zutreffend sein kann, wird jeder nachvollziehen können. 

Zur Einrichtung einer Betreuung muß die Definition der Anlasserkrankung als Rechtsgrundlage erhalten bleiben.