Frau Eff, Berufsbetreuerin… beim Ausländeramt
Ich sitze mit Frau H. auf der Wartebank im Ausländeramt. Sie ist starr vor Angst, hat sich schon zweimal auf dem Klo übergeben und umklammert ihre Papiere. Viele sind das nicht, und das genau ist das Problem. Sie wird hier in Deutschland geduldet, weil sie so schreckliche Dinge am eigenen Leib erfahren hat, dass man sie aus humanitären Gründen nicht abschiebt. Sie schafft die langen Tage zuhause nur mit vielen Medikamenten, die langen Nächte oft nur in Bewegung, gehend, bis die Nachbarn sich wieder beschweren und sie dann lieber im Bett unter der Decke liegt, das Kissen im Mund. Sie hat keine Papiere, keinen Pass, keine Geburtsurkunde, nichts. Mit der Aufenthaltsgenehmigung des Ausländeramtes darf sie in unserer Stadt sein, sonst nirgendwo.
Wenn ihre Not am größten ist, und auch wenn es ihr mal wirklich gut geht, dann vermisst sie ihre Mutter über alle Maßen. Es gäbe unter Umständen die Möglichkeit, dass sie ihre Mutter in einem angrenzenden Nachbarland trifft. Dafür braucht sie einen Reisepass, den sie nicht hat. Zudem ist sie zur Passbeschaffung verpflichtet. Die Botschaft ihres afrikanischen Geburtslandes wird ihr aber keinen Pass ausstellen, weil sie erstens nicht beweisen kann, dass sie in diesem Land geboren wurde und zweitens alleine schon durch ihre Flucht als Staatsfeindin und Verräterin gilt. Der deutsche Staat könnte ihr einen Ersatz-Reisepass ausstellen. Darum warten wir vor der Höhle der Löwin, die Frau S. heißt und ja oder nein sagen kann. Frau S. ist nicht freundlich, Butter würde in ihrem Mund nicht schmelzen, sie macht ihre Arbeit nicht gerne. An die Wand hat sie ein Zitat gehängt. Dort steht:
„Wer sich den Gesetzen nicht fügen will, muss die Gegend verlassen, wo sie gelten“ – Goethe.
Ich trage unser Anliegen vor. Schildere die Bemühungen, bei der Botschaft einen Pass zu bekommen. Werde gescholten, dass ich nichts Schriftliches habe. Ich erläutere, dass die Botschaft meine Briefe nicht beantwortet und ich bei einer persönlichen Vorsprache mit Frau H. wieder weggeschickt wurde. Die Sachbearbeiterin blättert wortlos in der Akte herum. Dann werden wir wieder auf den Gang geschickt. Frau S. will die Sache mit ihrer Vorgesetzen besprechen. Nach 15 Minuten werden wir wieder herein gebeten. Frau H. zerfetzt ein Papiertaschentuch nach dem anderen zwischen ihren Fingern. Sie weint. Entschuldigt sich. Ihr Magen knurrt laut. Sie entschuldigt sich. Sie versteht nicht, was Frau S. sagt, obwohl ich alles auf Englisch übersetze. Ich halte ihre Hand und sage “Let me do the talking, I tell you later”. Sie sagt “God bless you.”
Unser Erfolg: Wenn ich eine schriftliche Erklärung der Botschaft beibringe, dass man dort keinen Pass für Frau H. ausstellt, dann bekommt sie den deutschen Ersatzpass. Eine Hoffnung so groß, dass sogar Frau H. lächelt, als sie versteht, was ich ihr sage. Auf dem Gang mindestens zehn Leute, alle mit Papieren in der Hand, alle aufgeregt. Keiner scheint eine deutsche Begleitung zu haben. Wie wird ihr Besuch hier heute wohl enden?