Frau Eff… hätte etwas tun können

Frau Eff, Berufsbetreuerin… hätte etwas tun können.

Hubert ist tot. Umgefallen, tot. Maria, seine Freundin ist verzweifelt. Mir könnte das egal sein. Ich hatte nicht den Auftrag, mich um Hubert zu kümmern. Auf meinem Betreuungsbeschluss steht nur Maria, geistig behindert, 45 Jahre alt, drei erwachsene Kinder irgendwo, auch alle geistig behindert, ein weiteres Kind ist unter unklaren Umständen schon vor zwanzig Jahren gestorben.

Hubert lebte bei Maria, als ich sie vor zwei Jahren kennen lernte. Er hat es am Anfang vermieden, zuhause zu sein, wenn ich kam. Dann war er Weihnachten mal da, weil draußen das Wetter zu schlecht war für eine Flucht vor mir. Hubert war ein kleiner, magerer Mann, sanft und still, mit hängenden Schultern und flüsterleiser Stimme, kaum vierzig Jahre alt.

„Der Hubert kippt immer um, wenn der abends von der Arbeit kommt!“, berichtet mir seine Freundin Maria. „Der will ja nich zum Aaaazt!“, empört sie sich. Und tatsächlich, als ich einmal zum Hausbesuch in die gemeinsame Wohnung komme, liegt Hubert bewusstlos vor dem Bett. Schnell kommt er wieder zu sich und wehrt leise aber bestimmt jede Hilfe und alle Ratschläge ab. Ich lasse ihn in Ruhe.

Maria erzählt, dass er jeden Morgen um fünf Uhr aufstehe, um es bis halb acht zur Arbeit zu schaffen. Er ist Hilfsarbeiter in einem Textillager, das, was man so einen Knochenjob nennt. Abends dann wieder 1 ½ Stunden mit dem Bus zurück, das sei zu viel für ihn, zu anstrengend. Aber das Jobcenter mache Druck, er dürfe die Arbeit nicht verlieren.

Als das Geld mal sehr knapp ist, frage ich Hubert, ob er denn einen Lohnsteuerjahresausgleich mache. Er weiß nicht was das ist, und Maria petzt, dass das mit dem Lesen und Schreiben bei ihm auch nicht so doll sei. Ähnlich wie bei ihr. Also lasse ich mir seine Lohnsteuerkarte vom vergangenen Jahr geben, trage in den Bogen vom Finanzamt wenigstens die hohen Kosten für das Monatsticket von Hubert ein und lasse ihn unterschreiben. Ein paar Wochen später hat er 90 Euro auf dem Konto, ist ganz ungläubig, dass das so einfach geht.

Und ich habe ein schlechtes Gewissen. Weil ich mich immer wieder in Nebenschauplätze verstricke, zu viel unbezahlte Arbeit übernehme, meine knappe Freizeit mit solchen Samariterprojekten zerstückeln. Als Betreuerin begegnen mir jeden Tag haufenweise Leute, die auch Hilfe brauchen. Sie sind bei Klienten zu Besuch, lungern auf den Klinikstationen herum, sind die Kinder / Nachbarn / Freunde von Betreuten. Ich könnte, egal wo ich bin, überall einen Klapptisch aufstellen und ein Beratungsbüro für Sozialrecht, Altenpflege, Schuldenregulierung und Formularausfüllen eröffnen. Und reicht man hier einen kleinen Finger, hat man zwei Minuten später 17 verzweifelte Figuren am Hals, die auch noch eine Frage zu ihrem Bescheid vom Jobcenter haben.

Zurück zu Hubert: Als er eines Tages überraschend bei Maria auszieht, bin ich zwar verwundert, frage aber nicht weiter nach. Wenige Monate später lebt er nicht mehr. Es stellt sich dann heraus, dass er einen schweren Herzfehler hatte, der gut behandelbar gewesen wäre, wäre Hubert frühzeitig zum Arzt gegangen. Aber er hatte Angst vor einer Diagnose und vor allem die Sorge, seine Arbeit zu verlieren, wenn er krankgeschrieben würde. Maria hatte ihm gesagt, er solle mal mit mir darüber reden, ich wüsste sicher einen Weg. Das hat er sich aber nicht getraut, sagt Maria. Also ist er ausgezogen, in die Bretterbude eines Kollegen, um nicht einen so langen Weg zur Arbeit zu haben.
Als er dann auch während der Arbeit ohnmächtig geworden ist, hat man ihn ins Krankenhaus gebraucht und ihm einen Herzschrittmacher eingebaut. Sein Körper war aber zu schwach, um den Eingriff zu verkraften. Jetzt liegt er auf dem Friedhof.

„Der Hubert hatte ja keinen. Und ich konnte ihm auch nicht helfen“, sagt Maria. „Ich habe immer gesagt: Red’ doch mal mit der Frau Eff, die hilft dir! Aber der hat ja das Maul nicht aufgekriegt, der Hubert“.