Hohe Hürden für Prozessunfähigkeit

Beschwerde des Betroffenen gegen Prozessvertreterbestellung erfolgreich

Querulanten sind nur dann geschäfts- und prozessunfähig, wenn ihr Verhalten Ausdruck einer wahnhaften Verkennung der Realität ist. Mit dieser Begründung gab das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 03.02.2012 (L 5 AS 276/10 B ER) der Beschwerde eines Betroffenen statt, für den die Vorinstanz einen Prozessvertreter bestellt hatte. Die beauftragten Gutachter wollten sich nach Aktenlage nicht darauf festlegen, dass die querulatorischen und paranoiden Persönlichkeitszüge vom Ausprägungsgrad einer schweren Persönlichkeitsstörung tatsächlich auch Krankheitswert hätten.

Der Betroffene hat die Justiz schon intensiv beschäftigt. So schuldet er dem Land aus verschiedenen kostenpflichtigen Verfahren mittlerweile Gerichtskosten in Höhe von knapp 26.000 EUR. Schaden habe er sich auch durch den Verlust seiner anlässlich einer Zwangsräumung eingelagerten Sachen zugefügt. Er hat seit April 2006 840 Verfahren beim Sozialgericht Magdeburg eingereicht. (nur im März 2010 171 Verfahren, davon 139 ER-Verfahren). Sein zum Teil absurdes (etwa  1000 EUR pro Tag Schadenersatz) – Vorbringen zur Sache, mündet unmittelbar in wüste Vorwürfe und Beschimpfungen der Mitarbeiter des Jobcenters und anderer Behörden und der beteiligten Richter und gipfelte in abstrusen Kausalitätsketten wie dem Vorwurf des Betruges, der Körperverletzung bis zum Mordversuch.

Das Sozialgericht hatte eine Betreuung angeregt. Der Betroffene wollte sich jedoch weder im Rahmen eines Betreuungsverfahrens noch der Sozialgerichtsverfahrens psychiatrisch begutachten lassen. Nach Aktenlage konnten die eingeschalteten Gutachter zum Ausschluss der freien Willensbildung keine sichere Diagnose stellen.

Ausgangspunkt für die Prozessunfähigkeit ist das Fehlen einer freien Willensbildung , weil diese aufgrund einer krankhaften Störung der Willenstätigkeit entfallen ist (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995, XI ZR 70/95) oder ob der Betreffende in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen und nicht unkontrollierbaren Trieben oder Vorstellungen unterworfen ist (BGH, Urteil vom 19. Juni 1970, IV ZR 83/69). Defizite in der Realitätswahrnehmung könnten jedoch nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Ein Querulantenwahn mit Krankheitswert liegt nämlich nur vor , wenn durch eine wahnhafte Entwicklung der Bezug zur Realität verloren gegangen ist und die Betroffenen nicht mehr in der Lage sind, neue Argumente zu berücksichtigen.

Die Gutachter fanden in den Berichten über den Betroffenen jedoch keine Anhaltspunkte für qualitative und quantitative Bewusstseinsstörungen, schwerwiegende Störungen des formalen Denkens, Halluzinationen, wahnhafte Realitätsverkennungen oder für eine schwerwiegende Intelligenzminderung. Die verbalen Angriffe gegen Behörden- und Gerichtsbedienstete hätten keine pathologische Qualität, da das Verhalten des Betroffenen nicht in körperlicher Gewalt münde. Die festgestellte Affektdominanz begründe daher keine Prozessunfähigkeit. Auch dem selbstschädigenden Verhalten liege keine Erkrankung zugrunde. Dafür spreche nicht nur der zumindest teilweise zielgerichtete Sachvortrag in den Gerichtsverfahren, sondern auch die erfundenen Ausreden, um sich den Begutachtungen zu entziehen: diese seien nicht leicht zu widerlegen und wiesen  jedenfalls keine wahnhaften Züge aus.