Bundesverfassungsgericht: Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht dienen dem Schutz der Rechtsgüter der Betroffenen

Gerichtliche Genehmigung einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme auch bei Vorsorgevollmacht erforderlich

Auch bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht ist zusätzlich die Genehmigung durch das Betreuungsgericht nach § 1906 Abs. 5 BGB bei der Anordnung und Durchführung freiheitsbeschränkender Maßnahmen erforderlich. Durch Erteilen der Vorsorgevollmacht kann auf das Erfordernis dieser Genehmigung nicht wirksam verzichtet werden, stellte das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 10. Juni 2015 fest (2 BvR 1967/12) und nahm die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Vorsorgebevollmächtigten nicht zur Entscheidung an.

Die Vollmachtgeberin lebte in einer vollstationären Einrichtung, war mehrfach gestürzt und hatte sich dabei verletzt. Der Bevollmächtigte willigte in Ausübung der Vollmacht in Fixierungen durch Bettgitter und Rollstuhl-Beckengurt ein. Das Betreuungsgericht genehmigte die Einwilligung. Gegen die Genehmigung wandte der Bevollmächtigte ein, mit dem Recht auf Selbstbestimmung könne jede Person zu ihrem eigenen Schutz auf gesetzliche Kontrollrechte verzichten. Landgericht, BGH und BVerfG bestätigten die Genehmigung.

Die Verpflichtung gem. § 1906 Abs. 5 BGB, vor freiheitsbeschränkenden Maßnahmen trotz Einwilligung der Vorsorgebevollmächtigten eine gerichtliche Genehmigung der Einwilligung einholen zu müssen, greife zwar in das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein. Es entspreche aber der Wahrnehmung staatlicher Schutzpflichten, wenn die Zulässigkeit der Einwilligung unter ein gerichtliches Genehmigungserfordernis gestellt werde, so die 2. Kammer des 2. Senats, die dann unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG die staatlichen Schutzpflichten im Betreuungsrecht betonte:

„…Der Staat ist durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet, sich dort schützend und fördernd vor das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu stellen und sie vor Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren, wo die Grundrechtsberechtigten selbst nicht (mehr) dazu in der Lage sind…“

Der Vorsorgebevollmächtigte meinte, dass die Möglichkeit der Einrichtung einer Kontrollbetreuung ausreichenden Schutz gewährleiste. Dieser Schutz wirke nur nachträglich, die gegen den natürlichen Willen der Betroffenen vorzunehmende Freiheitsbeschränkung müsse aber einer vorgreiflichen Kontrolle unterworfen werden, so das BVerfG. Bei einem im Nachhinein festgestellten Vollmachtsmissbrauch könnten die durchgeführten Maßnahmen nicht mehr rückgängig gemacht werden.