Ein ausnahmsloses Betretungs- und Besuchsverbot nach dem Infektionsschutzgesetz ist offensichtlich rechtswidrig, wenn …

… einem rechtlichen Betreuer hierdurch der persönliche Kontakt zu der von ihm betreuten Person unmöglich gemacht wird und er folglich die ihm gerichtlich übertragenen Aufgaben nicht wahrnehmen kann

Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 17.04.2020 (13 ME 85/20)

Ein rechtlicher Betreuer und seine von ihm betreute Mutter, die in einer Intensivpflegewohngemeinschaft lebt, hatten sich zunächst ohne Erfolg beim Verwaltungsgericht Hannover gegen ein Besuchs- und Betretungsverbot gewehrt, das durch den Landkreis Hildesheim zum Schutz der Bevölkerung vor der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 verhängt worden war.

In der Allgemeinverfügung des Landkreises waren zwar Ausnahmen von dem Betretungsverbot – unter anderem für nicht aufschiebbare Handwerkerleistungen, Logopäden und Physiotherapeuten vorgesehen. Für rechtliche Betreuer war der Zutritt zu einigen in der Verfügung näher bezeichneten ambulant betreuten Wohneinrichtungen jedoch kategorisch verboten und nahen Angehörigen konnte nur im Falle einer palliativmedizinischen Versorgung ein Besuch gestattet werden.

Während sich das Verwaltungsgericht Hannover im Rahmen der Angemessenheitsprüfung in erster Linie mit dem nachvollziehbaren dringenden Besuchswunsch der Antragsteller und einem Eingriff in das Grundrecht auf Schutz der Familie befasste und die Allgemeinverfügung trotz einiger Bedenken jedenfalls nicht als offensichtlich rechtswidrig einstufte, stellt das Oberverwaltungsgericht die Aufgaben eines rechtliche Betreuers in den Mittelpunkt seiner Überlegungen: Einem gerichtlich bestelltem Betreuer den Besuch einer von ihm betreuten Person zu verbieten, sei offensichtlich rechtswidrig:

„Eine derartige Beschränkung des Zugangsrechts des Betreuers stellt keine notwendige Maßnahme (…) dar. Schon im Hinblick auf die in der Allgemeinverfügung geregelten Zutrittsrechte anderer Personen sind keine infektionsrechtlichen Gesichtspunkte erkennbar, die eine Hinderung eines Betreuers an der Erfüllung seiner Aufgaben rechtfertigen könnte. Mit deren Wahrnehmung ist notwendig auch die Aufnahme persönlichen Kontakts zu der betreuten Antragstellerin zu 1 verbunden.

Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts unterstreicht die Bedeutung der Tätigkeit rechtlicher Betreuer; unabhängig davon, ob sie – wie im vorliegenden Fall – ehrenamtlich tätig sind oder den Beruf rechtlicher Betreuer ausüben. In der Tat ist es nicht nachvollziehbar, warum nach der angefochtenen Allgemeinverfügung unaufschiebbare Handwerkerleistungen in den Wohngemeinschaften möglich sein sollen, rechtlichen Betreuern aber das Aufsuchen der zu betreuenden Personen verboten wird; obwohl sie hierzu wegen des Grundsatzes der persönlichen Betreuung in Verbindung mit der Besprechungspflicht in bestimmten Fallkonstellationen sogar rechtlich verpflichtet sein können. Das Recht, seine Mutter zu besuchen, leitet das OVG Lüneburgs also nicht aus dem Angehörigenverhältnis ab, sondern allein aus der Stellung des Sohnes als gerichtlich bestellter Betreuer. Die Entscheidung lässt sich daher bedenkenlos auf Berufsbetreuer übertragen. Denn die Aufgaben rechtlicher Betreuer und nicht etwa der verständliche Besuchswunsch der Antragsteller waren ausschlaggebend für die Entscheidung des Gerichts.

Auch wenn das Betretungsverbot in der Verfügung des Landkreises bis zum 18.04.2020 befristet war, ist es erfreulich zu sehen, dass offenbar auch in Krisenzeiten die Gewaltenteilung grundsätzlich funktioniert. Derzeit sind es die Gerichte, die einigen übereifrigen Politikern und Behörden rechtliche Grenzen aufzeigen, indem sie an zentrale verfassungsrechtliche Errungenschaften erinnern. In diesem Sinne kann man die Entscheidung auch als Stärkung der Berufsfreiheit rechtlicher Betreuer verstehen.