Mindestmaß rechtlichen Gehörs – Feststellung eines Betreuungsbedarfs

– Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 02.03.2022 – XII ZB 558/21 –

Sieht das Betreuungsgericht entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG von der vorherigen Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen ab, ist durch die Bekanntgabe an die Verfahrenspflegerin das Mindestmaß rechtlichen Gehörs nur sichergestellt, wenn erwarten werden kann, dass die Verfahrenspflegerin das Gutachten mit dem Betroffenen bespricht. Letzteres setzt in der Regel einen entsprechenden Hinweis des Betreuungsgerichts an die Verfahrenspflegerin voraus und kann nicht ohne Weiteres unterstellt werden.

Im Verfahren zur Anordnung einer Betreuung vor dem Amtsgericht Moers wurde durch den Sachverständigen darauf hingewiesen, dass das Gutachten der Betroffenen aus gesundheitlichen Gründen nicht bekannt gegeben werden sollte. Das Betreuungsgericht hat im Zuge dessen das Gutachten kommentarlos an die Verfahrenspflegerin und die Betreuungsstelle gesandt.

Gegen den daraufhin erlassenen Beschluss über die Anordnung einer Betreuung legte die Betreute Beschwerde ein, welche durch das Landgericht Kleve ohne erneute Anhörung der Betroffenen mit Beschluss zurückgewiesen wurde. Gegen die Entscheidung des Landgerichtes erhob die Betreute Rechtsbeschwerde. Die Beschwerde hatte Erfolg: 

§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG räumt dem Beschwerdegericht zwar auch im Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer Anhörung abzusehen. Dies setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aber voraus, dass die Anhörung im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind.

Nachdem das Gutachten kommentarlos an die Verfahrenspflegerin im ersten Rechtszug durch das Betreuungsgericht gesandt wurde, blieb offen, ob die Betreute von der Verfahrenspflegerin über den Inhalt des Gutachtens unterrichtet wurde. Den Gerichtsakten konnte nicht entnommen werden, dass die Verfahrenspflegerin vor Anordnung der Betreuung mit der Betroffenen überhaupt in Kontakt getreten ist und den Inhalt des Gutachtens erläuterte.

Außerdem genügte die Begründung des Beschlusses zur Feststellung des Betreuungsbedarfs nicht den gesetzlichen Anforderungen. Denn die Erforderlichkeit einer Betreuung ergibt sich nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit einer Person, ihre eigenen Angelegenheiten ganz oder teilweise selbst zu erledigen. Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Dabei genügt es nach ständiger Rechtsprechung, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann.

 Der Grundsatz der Erforderlichkeit in § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB setzt aber die konkrete tatrichterliche Feststellung voraus, dass die Betreuung notwendig ist, weil die Person auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein konkreter Bedarf besteht, ist anhand der Lebensverhältnisse des Betreuten zu beurteilen.

Das Verfahren wurde durch die Richter am Bundesgerichtshof zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Kleve zurückverwiesen. Denn weder die Frage des Betreuungsbedarfs noch die Frage nach einer ordnungsgemäßen Anhörung im ersten Rechtszug war hinreichend geklärt. Daher konnte auch keine abschließende Entscheidung in der Sache durch den Bundesgerichtshof erfolgen.