I. Grundlagen der Haftung
In unserem Artikel vom 01.02.2022 hatten wir die Haftung der rechtlichen Betreuer gegenüber Betreuten im Rahmen einer schuldhaft begangenen Pflichtverletzung nach den §§ 1908 i, 1833 BGB (ab 2023: § 1826 BGB) thematisiert. Darüber hinaus kann sich ein Schadensersatzanspruch (Haftung) gegen rechtliche Betreuer aus dem Deliktsrecht, insbesondere § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB ergeben.
Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Grundsätzlich ist zu beachten, dass es sich bei § 823 BGB um keine betreuungsspezifische Haftungsnorm handelt. Nach § 823 BGB kann jeder unabhängig von seiner beruflichen Stellung in Anspruch genommen werden, wenn er widerrechtlich und schuldhaft eines der ausdrücklich in § 823 BGB genannten Rechtsgüter verletzt. Mit „sonstigen Rechten“ sind in Absatz 1 nur absolute Rechte, wie zum Beispiel diesem Zusammenhang nur absolute Rechte, wie zum Beispiel das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemeint. Allgemeine Vermögensschäden, die sich beispielsweise aus einer verspäteten Antragstellung ergeben, können Betreute also nicht nach § 823 Abs. 1 BGB ersetzt verlangen. Während die Grundlage für eine Haftung gemäß § 1833 BGB – ähnlich einer vertraglichen Haftung – die Sonderbeziehung (gerichtlicher Beschluss mit der Übertragung bestimmter Aufgabenkreise) zwischen rechtlichen Betreuern und Betreuten ist, handelt es sich bei § 823 BGB um eine Haftung, die vollkommen unabhängig von der Beziehung zweier Personen zueinander besteht und daher an strengere Voraussetzungen geknüpft ist.
II. Fall – Lösung
Eine rechtlich betreute Weinhändlerin verfügt über eine exquisite Weinsammlung. Mit Rücksicht auf den gesundheitlichen Zustand (Alkoholismus) der Betreuten entnimmt ihr gesetzlicher Betreuer regelmäßig einige Kisten Wein aus der Sammlung zum Eigenverzehr. Die Kisten und die leeren Weinflaschen stellt er später zurück in den Keller der Betreuten, die von alldem zunächst nichts mitbekommt. Steht dem Betreuten ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung zu?
Ein Haftungsanspruch würde bestehen, wenn der Betreuer vorsätzlich oder fahrlässig ein geschütztes Rechtsgut des Betreuten verletzt hätte und dadurch dem Betreuten ein Schaden entstanden ist. Die Haftungsvoraussetzungen lauten demnach:
- Rechtsgutsverletzung
- Handlung des Anspruchsgegners (Betreuer) – Tun oder Unterlassen
- Haftungsbegründende Kausalität
- Rechtswidrigkeit
- Verschulden
- Haftungsausfüllende Kausalität
Vorliegend handelt es sich bei dem Wein um das Eigentum der Betreuten, das der Betreuer spätestens durch den Konsum vernichtet hat. Die haftungsbegründende Kausalität setzt voraus, dass die Verletzungshandlung (Austrinken des Weins) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Rechtsgutverletzung in ihrer konkreten Gestalt (Eigentumsverletzung) entfiele. Diese Voraussetzung liegt hier offensichtlich vor. Jedoch stellen sich bei der Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität häufig schwierige Zurechnungsfragen (Beispiel: Die Betreute bemerkt das Entwenden der Weinkisten und versucht, dies durch das Abschließen der Kellertür zu verhindern. Dabei fällt sie die Kellertreppe herunter und verletzt sich schwer – Haftet in diesem Fall der Betreuer auch für den Gesundheitsschaden? Ergebnis: wohl ja, weil der Betreuer das Verhalten der Betreuten herausgefordert hat).
Die Rechtswidrigkeit wird im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB bei einem aktiven Tun grundsätzlich vermutet und kann nur bei einem Rechtfertigungsgrund entfallen. Hier könnte man an Notstand gemäß § 228 BGB denken, weil der Betreuer durch sein Verhalten auch erreichen wollte, dass die Betreute keinen Alkohol mehr konsumiert. Die Regelung lautet:
Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht widerrechtlich, wenn die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht.
Hier war das Austrinken des Weines jedoch nicht zur Abwendung der Gefahr erforderlich. Beispielsweise hätte der Betreuer den Wein auch verstecken können, sodass die Betreute ihn nicht findet.
Eine weitere Voraussetzung des Anspruchs ist das Verschulden. Es wird Zurechnungsfähigkeit sowie Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorausgesetzt. Die Reglung zum Verschulden befindet sich in § 276 BGB. Ein vorsätzliches Handeln liegt im Beispielsfall nahe, da der Betreuer den Wein wissentlich und willentlich mitnahm und austrank.
Unter dem Begriff der haftungsausfüllenden Kausalität wird die Ursächlichkeit der Rechtsgutverletzung (Vernichtung des Eigentums) für den Schaden (Wert des Weines) verstanden. Das Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens nach den §§ 249 ff. BGB ist hierfür erforderlich. Dieser Schaden muss kausal durch die Rechtsgutsverletzung entstanden sein. Letzteres ist hier unproblematisch. Auch wenn man sicher über die Höhe des Schadens streiten kann, so hat dieser sicherlich einen am Markt bezifferbaren Wert.
III. Zwei abschließende Anmerkungen
Eine Verletzungshandlung kann sowohl in einem Tun als auch in einem Unterlassen bestehen. Dabei ist zu beachten, dass im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB ein Unterlassen nur dann eine Verletzungshandlung darstellt, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln bestanden hat. Dies wird vom Gesetzgeber unter anderem bei Garantenstellungen angenommen. Rechtliche Betreuer sind in den ihnen übertragenen Aufgabenkreisen für die Erledigung bestimmter Aufgaben verantwortlich. Ihnen kommt daher in der Regel eine Garantenstellung aus ihrer Funktion als Beschützer für die betreute Person zu, sodass sie auch für ein Unterlassen haften. Auch außerhalb der Aufgabenkreise kommt eine Haftung durch Unterlassen in Betracht; zum Beispiel, wenn es eine Betreuerin trotz konkreter Anhaltspunkte unterlässt, eine Erweiterung ihres Aufgabenkreises anzuregen.
Im Beispielsfall wäre der Betreuer auch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 242 StGB (Diebstahl) schadensersatzpflichtig. Er hat den Wein durch das Austrinken zweckentsprechend verwendet; also weggenommen im Sinne des § 242 StGB. Der Straftatbestand des Diebstahls stellt auch ein sogenanntes Schutzgesetz für das bestohlene Opfer dar, sodass der Betreuer der Betreuten auch nach dieser Regelung den Wert des Weines zu ersetzen hat.