Eine Vergütung nach dem erhöhten Stundenansatz der Anfangsbetreuung kann grundsätzlich auch dann beansprucht werden, wenn nach dem Ende der vorläufigen Betreuung einige Wochen später eine Betreuung im Hauptsacheverfahren angeordnet wird
Beschluss des Landgerichts Berlin vom 02.10.2019 (89 T 71/19)
Nach Beendigung einer im Wege der einstweiligen Anordnung eingerichteten Betreuung, hatte das Betreuungsgericht ein ärztliches Gutachten eingeholt und nach Anhörung der Beteiligten ca. sieben Wochen später den im Eilverfahren beigeordneten Betreuer für dieselben Aufgabenkreise erneut zum Berufsbetreuer bestellt. Der Betreuer beantragte später, ihm ab dem Zeitpunkt der erneuten Betreuerbestellung eine Vergütung nach dem für eine Erstbetreuung geltenden Stundenansatz zu bewilligen. Das Amtsgericht Pankow-Weißensee lehnte die Festsetzung einer Vergütung nach dem erhöhten Stundenansatz ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Betreuers hatte Erfolg.
Das Landgericht Berlin setzt sich in seiner Entscheidung mit den Gesetzesmaterialien zu § 5 Abs. 1 VBVG in der bis zum 26.07.2019 geltenden Fassung auseinander. In der Begründung des Gesetzentwurfes zum VBVG – so das Landgericht Berlin – wird zu der Frage, wie eine zeitliche Lücke zwischen dem Ende einer vorläufig eingerichteten Betreuung und der erneuten Einrichtung der Betreuung im Hauptsacheverfahren vergütungsrechtlich zu behandeln sei, ausgeführt, dass in solchen Fällen grundsätzlich von einer Erstbetreuung auszugehen ist. Missbräuchen könne – wie es in der Gesetzesbegründung weiter heißt – durch die Gerichte begegnet werden (so ausdrücklich auch das OLG Karlsruhe, Bt-Prax 2007,183 / 184, ohne sich freilich mit der Frage zu befassen, wann denn von einem Missbrauchsfall auszugehen ist).
Anhaltspunkte für einen Missbrauch konnte das Landgericht schon deshalb nicht feststellen, weil die Verzögerung im Hauptsacheverfahren durch die Ermittlungen des Betreuungsgerichts veranlasst worden waren. Außerdem habe der Gesetzesgeber einen Mindestzeitabstand zwischen Ende der vorläufig eingerichteten Betreuung und der später im Hauptsacheverfahren eingerichteten Betreuung nicht geregelt. Es passe daher zu dem System der Pausschalvergütung, eine formale, streitvermeidende Betrachtungsweise anzustellen. Diese habe zur Folge, dass auch eine Vakanz von kurzer Dauer dazu führe, die erneute Bestellung eines Berufsbetreuers vergütungsrechtlich wie eine Erstbetreuung zu behandeln.
Der Beschluss des Landgerichts Berlin betrifft zwar einen „vergütungsrechtlichen Dauerbrenner“. Die Entscheidung reiht sich aber nicht in die bislang zu dem Problem ergangene Rechtsprechung ein, nach der ohne konkrete Anhaltspunkte im Gesetz über den Zeitraum spekuliert wird, ab dem von einer Erstbetreuung nach Beendigung einer zuvor angeordneten vorläufigen Betreuung auszugehen ist (vgl. insbesondere OLG München, BtPrax 2006,73 / 74, das auf eine historische Auslegung an dieser Stelle verzichtet). Das Gericht beteiligt sich auch nicht an den rechtlich fragwürdigen Auslegungsversuchen, die sich daran orientieren, ob für den Berufsbetreuer durch die Dauer der Unterbrechung seiner Tätigkeit eine Situation eingetreten ist, die faktisch wieder zu einem Arbeitsaufwand führt, wie zu Beginn der Betreuung. Stattdessen tritt es recht deutlich und im Interesse der Rechtssicherheit dieser kasuistischen Rechtsprechung entgegen, indem es sich mit dem Willen des Gesetzgebers befasst, nach dem – abgesehen von Missbrauchsfällen – generell vom Vorliegen einer Erstbetreuung auszugehen ist, wenn eine beruflich geführte Betreuung nach ihrer Beendigung zu einem späteren Zeitpunkt erneut angeordnet wird. Zwar benennt das Landgericht Berlin in seinem Leitsatz einen Zeitraum von mehreren Wochen. Die Begründung der Entscheidung, die auf einer historischen Auslegung und dem Zweck der Pauschalvergütung abstellt, lässt aber kaum Spielraum dafür, das Vorliegen einer Erstbetreuung selbst bei einer zeitlichen Vakanz von nur einem Tag zu verneinen.
Offen bleibt lediglich, in welchen Fällen ein Missbrauch anzunehmen ist. Hiervon wird man – ähnlich wie bei einem Missbrauch der Vertretungsmacht – dann ausgehen können, wenn die zeitliche Vakanz zwischen Ende und erneuter Einrichtung einer Betreuung auf ein Verhalten des rechtlichen Betreuers oder ein Zusammenwirken zwischen ihm und der Betreuungsbehörde zurückzuführen ist. Es liegt nahe, für einen Missbrauchsfall zu verlangen, dass der Betreuer in irgendeiner Form für die Entstehung der zeitlichen Lücke mitverantwortlich ist. Denn es ist rechtsmissbräuchlich, die Voraussetzungen für eine höhere Vergütung gezielt oder wenigstens bewusst herbeizuführen, ohne dass hierfür betreuungsrechtlich ein Bedürfnis besteht. Vor dem Hintergrund, dass in der Praxis die zeitlichen Verzögerungen, die zwischen dem Ende einer vorläufig angeordneten Betreuung und der Anordnung der Betreuung im Hauptsacheverfahren in der Regel auf die Arbeitsbelastung der Betreuungsgerichte zurückzuführen sein dürfte, dürften Missbrauchsfälle eher selten oder gar nicht vorkommen.
Die Entscheidung des Landgerichts Berlin ist auch nach Inkrafttreten des „neuen“ Vormünder- und Betreuervergütungsgesetzes relevant. Denn der Gesetzgeber hat es einerseits nicht für erforderlich gehalten, das Problem zu klären, wie eine zeitliche Vakanz nach Beendigung einer Betreuung bis zur erneuten Einrichtung der Betreuung vergütungsrechtlich zu behandeln ist und hat andererseits – wenn auch nun durch die Einführung von Fallpauschalen – an einem pauschalen Vergütungssystem festgehalten. Die Formulierung „in den ersten drei Monaten der Betreuung“ wurde in der seit dem 27.07.2019 geltenden Fassung des VBVG unverändert übernommen (§ 5 Abs. 2 VBVG) und aus der Gesetzesbegründung ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber an der bis zum 26.07.2019 geltenden Rechtslage etwas ändern wollte.