Versicherungsleistungen einer Hausratsversicherung stellen sozialrechtlich weder Einkommen im Sinne des § 83 SGB XII noch verwertbares Vermögen im Sinne des  § 90 SGB XII dar

Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 20.03.2023 – Az.: 15 A 54/22

Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Zahlung einer Hausratsversicherung zur Wiederherstellung eines Haushaltes nicht als Einkommen im Sinne des § 83 SGB XII zu werten ist, sondern Vermögen im Sinne des § 90 SGB XII darstellt, das jedoch von der Härtefallklausel des § 90 Abs. 3 S.1 SGB XII erfasst und folglich nicht verwertet werden darf. freizustellen ist.

In dem zugrundeliegenden Verfahren wurde über die Gewährung von Pflegewohngeld nach § 6 Abs. 4 Landespflegegesetz (LpflegeG) im Zeitraum von 28.05.2021 bis 30.09.2021 gestritten (Hinweis der Redaktion: Pflegewohngeld ist ein bewohnerorientierter Aufwendungszuschuss zur Finanzierung der betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen vollstationärer Dauerpflegeeinrichtungen. Pflegewohngeld wird u.a. in Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen gewährt. In Schleswig-Holstein wird Pflegewohngeld gewährt, soweit das Einkommen und Vermögen der pflegebedürftigen Person bestimmte Grenzen nicht übersteigt).

Der Kläger hatte am 25.06.2021 Versicherungsleistungen in Höhe von 10.000,00 Euro von seiner Hausratsversicherung erhalten, nachdem bei einem von ihm nicht verschuldeten Brand seine gesamte Einrichtung und Habe verbrannt waren. Der Beklagte lehnte die Bewilligung von Pflegewohngeld mit der Begründung ab, dass die Zahlung in Höhe von 10.000,00 Euro zu berücksichtigendes Einkommen darstellen würde und dieses Einkommen auf den Bewilligungszeitraum aufzuteilen wäre. Die Betreuerin des Klägers legte gegen diese Entscheidung stellvertretend für den Betreuten Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren wurde der Anspruch auf Gewährung von Pflegewohngeld mit der Begründung abgelehnt, dass die Geldleistung in Höhe von 10.000,00 Euro als Vermögen i.S.d. § 90 Abs. 2 SGB XII zu bewerten wäre und der Widerspruchsführer (Kläger) das über der Freibetragsgrenze liegende Vermögen zu verwerten hätte, bevor Pflegewohngeld bewilligt werden könne.

Daraufhin erhob der Betreute auf Veranlassung seiner Betreuerin Klage. Die Klage hatte Erfolg und führte zur Aufhebung der beiden vorgenannten Bescheide sowie zur Bewilligung von Pflegewohngeld, ohne eine Anrechnung der Versicherungsleistungen.

Die Richter entschieden, dass es sich entgegen der Auffassung der Beklagten bei den genannten Versicherungsleistungen nicht um Einkommen i.S.d. § 82 SGB XII handeln würde, welches im Rahmen eines Anspruches auf Pflegewohngeld bedarfsmindernd zu berücksichtigen wäre.

Nach § 82 Abs. 1 SGB XII gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert zum Einkommen.  Durch die streitgegenständliche Zahlung der Hausratsversicherung wurde die Vermögenslage des Klägers vor dem Schadensereignis wiederhergestellt. Diese Kompensationszahlung im Rahmen des Zuflussprinzips als Einkommen zu werten, würde dem Sinn und Zweck der Zahlung widersprechen. Die Zahlung der Hausratsversicherung habe an den Vermögensverhältnissen des Klägers letztlich nichts geändert. Eine Berücksichtigung dieser Zahlung als Einkommen würde bedeuten, dass der Ersatz für bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorhandenes Vermögen erneut – diesmal als Einkommen – durch den Sozialleistungsträger angerechnet werden würde.

An der Berücksichtigung dieser Zahlung als grundsätzlich verwertbares Vermögen im Sinne des § 90 Abs. 1 SGB XII hatten die Richter allerdings keine sozialrechtlichen Bedenken. Diese Rechtsauffassung trägt dem vorherrschenden Grundsatz der Nachrangigkeit von Sozialleistungen umfassend Rechnung. Grundsätzlich ist das gesamte verwertbare Vermögen vor der Inanspruchnahme von Sozialleistungen einzusetzen, sofern nicht ein Ausschluss nach § 90 Abs. 2 SGB XII oder der Härtefallklausel § 90 Abs. 3 SGB XII gegeben ist. Vorliegend haben die Richter festgestellt, dass die Zahlung der Hausratsversicherung nicht aufgrund § 90 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII („Freistellung eines angemessenen Haushaltes“) freigestellt werden kann. Denn die Geldleistung stelle begrifflich keinen Hausrat dar.

Die Richter entschieden jedoch, dass der Geldbetrag im Rahmen der Härte nach § 90 Abs. 3 SGB XII freizustellen ist. § 90 Abs. 3 SGB XII legt fest, dass die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden darf, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Der Vermögensschutz im Härtefall muss den Leitvorstellungen des Gesetzes entsprechen und dem Sozialhilfeempfänger einen gewissen Spielraum der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit erhalten. Der Bewertungsspielraum wird durch die Vorschriften zum Schonvermögen definiert. Die Richter hielten fest, dass bei der Prüfung des Vermögenseinsatzes die Herkunft des Vermögens und die Ursache der Not zwar regelmäßig keine entscheidende Rolle spiele, es aber Situationen geben kann, wo die Herkunft des Vermögens dieses so prägt, dass seine Verwertung eine Härte darstellen kann. Dies wurde vorliegend bejaht, da der streitgegenständliche Betrag eine Schadensersatzleistung zur Kompensation des Verlustes von Schonvermögen darstellt und es zu einem Wertungswiderspruch führen würde, wenn diese Zahlung zur Deckung der allgemeinen Lebensunterhaltskosten einzusetzen wäre. Dies gelte selbst dann, wenn die Zahlungen der Versicherung nicht zur Anschaffung neuer Einrichtungsgegenstände etc. verwendet würden.

Die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts überzeugt sowohl hinsichtlich ihrer fundierten Begründung als auch hinsichtlich ihres Ergebnisses. Es wäre in der Tat nicht einzusehen, wenn Geldleistungen, die als Kompensation für nach § 90 SGB XII nicht verwertbares Vermögen erfolgen, ihrerseits sozialrechtlich als Einnahmen oder verwertbares Vermögen angesehen würden. Das Urteil dürfte darüber hinaus sinngemäß für andere Sozialleistungen – wie zum Beispiel Hilfe zur Pflege – von Bedeutung sein und daher auch in denjenigen Bundesländern zur Begründung herangezogen werden können, in denen kein Pflegewohngeld vorgesehen ist.

Rechtliche Betreuer sollten sich mit behördlichen Entscheidungen nicht ohne Weiteres zufriedengeben, sondern prüfen, ob eine Klage Aussicht auf Erfolg hat. Im vorliegenden Fall deutet einiges darauf hin, dass ohne die Anordnung einer rechtlichen Betreuung mit der Befugnis zur Stellvertretung, der Betreute seinen Anspruch auf Pflegewohngeld nicht durchgesetzt hätte.