Die realitätsferne Position des BdB zur notwendigen Betreuerbestellung dient handfesten Interessen – nur nicht denen der Betroffenen und der Berufsbetreuer
In einer betreuungsgerichtlichen Anhörung werden drei Menschen, bei denen eine psychische Krankheit und/oder geistige/psychische Behinderung besteht und Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie ihre Rechtsangelegenheiten nicht mehr alleine wahrnehmen können gefragt, wie sie zu einer Betreuerbestellung stehen.
Betroffene 1 sagt: „Ich will keinen Betreuer, der entmündigt mich und kostet mein Geld.“
Keine Betreuerbestellung, freier Wille gem. § 1896 Abs. 1a BGB.
Betroffene 2: „Ich will keinen Betreuer, die stecken doch mit CIA und KGB unter einer Decke.“
Betreuerbestellung, da kein freier Wille und fehlende Krankheitseinsicht.
Betroffene 3: „Ich weiß nicht, was das alles soll, aber vielleicht hilft er mir?“
Keine Betreuerbestellung nach der Interpretation des Erforderlichkeitsprinzips durch den BdB („Wenn 69% der Klient/innen den eigenen Unterstützungsbedarf erkennen und der Betreuung zustimmen, ist dieser Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht in eben diesen Fällen vermeidbar – die Menschen können die Beratung, Unterstützung und Vertretung, die sie benötigen, selbst beauftragen.“)
- Können 69 % der Betreuten ihren Unterstützungsmanager selbst aussuchen, beauftragen und kontrollieren?
Aus der Bereitschaft, Hilfe anzunehmen, soll also die Fähigkeit folgern, einen rechtlichen Assistenten/Unterstützungsmanager auszuwählen, diesem einen Auftrag zu erteilen, Beratung in allen rechtlich erheblichen Angelegenheiten entgegenzunehmen, daraufhin Entscheidungen zu treffen, die den eigenen Wünschen und Interessen entsprechen und den Assistenten bei der Umsetzung dieser Entscheidungen
(den Unterstützungshandlungen) zu überwachen – und die eigenen Belange gegenüber dem Assistenten/Unterstützungsmanager zu vertreten (oder soll er/sie einen weiteren Assistenten damit beauftragen, den anderen Assistenten zu kontrollieren…)?
Menschen mit
- fortgeschrittenen Demenzerkrankungen,
- psychischen Erkrankungen, die sich in kurzen Abständen krisenhaft zuspitzen,
- Suchterkrankungen, die chronifiziert sind und bereits zu Persönlichkeitsveränder-ungen und hirnorganischen Abbauprozessen geführt haben
- mittelgradigen geistigen Behinderungen und damit einhergehenden psychischen Erkrankungen
dürften dazu wohl kaum in der Lage sein. Rechtliche Assistenz – nur Beratung und Unterstützung, kein stellvertretendes Handeln – als „unterstützte Entscheidungsfindung“ nach der UN-Behindertenrechtskonvention kommt lediglich für Menschen in Betracht mit leichten geistigen Behinderungen und mit psychischen Erkrankungen, deren Realitätsbezug nur gering gestört ist und die kooperationsfähig sind. Diese machen aber nur einen kleinen Teil der oben genannten 69 % aus.
2. Die strikte Beachtung des Erforderlichkeitsprinzips ist ein Instrument von Sparpolitik
Das alles wissen auch die Berufsbetreuer im BdB-Vorstand. Warum tritt dann der BdB in den Überbietungswettbewerb ein, wie viele Betreuerbestellungen vermeidbar erscheinen? Diesen haben sich bisher die Vertreter öffentlicher Stellen geliefert, die an der „strikten Durchsetzung des Erforderlichkeitsprinzips“ interessiert sind, um Einsparungen im Betreuungswesen zu erzielen.
Die Meinung, ein großer Teil der Betreuerbestellungen sei überflüssig, aus dem Betreuungswesen selbst geäußert, ist ein willkommenes Argument für die dafür in den Ländern zuständigen Politiker. Diese sind an einem Klima im Betreuungswesen interessiert, das – auch ohne Änderung des § 1896 BGB – Betreuungsrichter und vor allem Behörden zu einer besonders strengen Bestellungspraxis veranlasst und in dem es im Einzelfall schwierig werden kann, noch eine notwendige Betreuung zu bekommen.
Wenn denn gleichzeitig ein paralleles System rechtlicher Assistenz mit verlässlicher Finanzierung aufgebaut würde, wie die im Kasseler Forum bisher versammelten Betreuungsverbände vorgeschlagen haben und konkretisieren wollen, dann gäbe es möglicherweise eine bedarfsgerechte Alternative für die Betroffenen. Das ist aber nicht absehbar, nicht einmal in Andeutungen:
- kein Rechtspolitiker hat bisher erklärt, dass die im Betreuungswesen einzusparenden Mittel in die Sozialressorts transferiert werden sollen um sie dort für rechtliche Assistenzleistungen einzusetzen;
- kein Sozialpolitiker in Bund und Ländern will im Vorfeld der Schuldenbremse die Verantwortung für die Finanzierung einer neuen Sozialleistung übernehmen.
Die Betreuungsverbände haben also noch viele Jahre Überzeugungsarbeit vor sich. Zwanzig Jahre nach Einführung des Betreuungsrechtes denken die Sozialpolitiker der großen Parteien bei Behinderung immer noch zunächst an geistig fitte Rollstuhlfahrer und wissen wenig Konkretes von den Bedürfnissen geistig und psychisch behinderter Menschen.
Derweil droht den Menschen, die keine Betreuer mehr bekommen, die Verelendung weil es die „anderen Hilfen“ nur auf dem Papier und in den Sonntagsreden der Politiker, aber nicht in der Realität gibt. Deshalb ist das Wetteifern, wer die wenigsten Betreuerbestellungen für notwendig hält, politisch verantwortungslos.
3. Die UNO-Konvention gebietet keinen Ersatz der Betreuung durch unterstützte Entscheidungsfindung
Ein Mitarbeiter des BdB-Vorstand hat die weitgehende Ersetzung der Betreuung durch Assistenz in einer Wortmeldung auf der Bochumer Liste in der Sprache der Bankenretter als alternativlos dargestellt: die UNO-Behindertenrechtskonvention fordere, die Betreuung als Unterstützungsleistung zu definieren, das deutsche Betreuungsrecht müsse nach dem Konzept der „unterstützten Entscheidungsfindung“ weiterentwickelt werden.
Die UNO-Konvention ist in Deutschland einfaches Gesetzesrecht und damit keine höherrangige Rechtsnorm, an die das Betreuungsgesetz angepasst werden müsste. Das deutsche Betreuungsrecht ist das modernste System in Europa, das die Selbstbestimmung der Betroffenen in optimaler Weise schützt, weil es die höherrangigen verfassungsrechtlichen Vorgaben beachtet: Unterstützung hat Vorrang vor der Stellvertretung, aber das aus der Menschenwürde folgende Schutzgebot verpflichtet den Staat auch dazu, für die Betroffenen ein Instrument zur Verfügung zu stellen, mit dessen Hilfe ihr Recht zur Selbstbestimmung trotz Krankheit oder Behinderung tatsächlich verwirklicht werden kann. Betreuung ist nicht alleine stellvertretendes Handeln, aber die Befugnis zum stellvertretendem Handeln ist das Alleinstellungsmerkmal der Betreuung, wie die Verbände des Betreuungswesens, auch der BdB, in ihrem Brief an die Arbeits- und Sozialministerkonferenz unterstrichen haben.
Der weitgehende Ersatz der Betreuung durch Assistenz durch die UNO-Konvention ist gerade nicht geboten und nicht unvermeidlich. Lediglich 15 – 20 % der heute betreuten Menschen benötigen keinen rechtlichen Betreuer mit Befugnis zu stellvertretendem Handeln. Für diese muss zügig ein System der rechtlichen Assistenz oder Unterstützungsmanagement aufgebaut werden.
4. Rechtliche Assistenz/Unterstützungsmanagement wird im Wettbewerb erbracht werden – weitgehend ohne Berufsbetreuer
Wer sich seinen rechtlichen Assistenten selbst aussuchen und beauftragen kann, benötigt keinen besonderen Schutz durch ein Gericht oder eine Aufsichtsbehörde wie ein betreuungsbedürftiger Mensch. Diese soziale Dienstleistung wird wie die Eingliederungshilfe auf einem Markt erbracht werden, der nur durch Verbraucherschutz und allenfalls formale Qualitätssicherungen der Leistungsträger im Rahmen von Leistungs- und Entgeltvereinbarungen reguliert sein wird. Die bereits bestehenden Strukturen der Wohlfahrts- und Behindertenverbände würden diese Dienstleistung problemlos übernehmen können. In diesem Wettbewerb werden einzelne Betreuerbüros außerhalb von Nischen nur geringe Überlebenschancen haben – allenfalls als abhängige, prekäre Subunternehmerexistenzen.
Rechtliche Assistenz/Unterstützungsmanagement kann nur eine Ergänzung, kein weitgehen-der Ersatz von Betreuung sein und wird keine flächendeckende Beschäftigungsalternative für Berufsbetreuer darstellen.
Der BdB-Vorstand befürchtet daher zu Recht, dass ein System der unterstützten Entscheidung von der professionellen Behindertenhilfe vereinnahmt werden wird. Die dagegen gesetzte Vision der geeigneten Stellen ist ehrenwert: unabhängige kleine Büros bilden in der Summe einen aufsuchenden sozialen Dienst, staatlich auskömmlich finanziert, bedarfsgerecht reguliert, Betroffene und Fachkräfte fühlen sich wohl, weil alle Unterstützungshandlungen im Konsens stattfinden.
Sie wird aber nicht Wirklichkeit werden. Deshalb sollten die Visionäre nicht grobfahrlässig denen in den Arm fallen, die die unvollkommene Struktur, die wir haben, gegen die Angriffe derer verteidigen, die anstelle von Betreuung etwas ganz anderes wollen.