Frau Eff, Berufsbetreuerin… träumt von Hilfen aus einer Hand
In der Medizin hat es sich ja längst herumgesprochen, dass man den Menschen nicht als ein Lager von unabhängigen Einzelteilen sehen sollte, sondern als korrespondierendes System, dem man ganzheitlich begegnet. Im sozialen Bereich ist diese Erkenntnis bisher noch nicht bis zu den Leistungsträgern durchgedrungen. Benötigt jemand psychosoziale oder pflegerische Hilfen, muss er oder sie sich auf eine Invasion von Fachleuten und Zuständigkeiten gefasst machen. Ein schönes Beispiel für diesen Irrsinn ist Herr J. Er nennt alle die ausdifferenzierten ambulanten Helfer, die zu ihm kommen, augenzwinkernd „mein Personal“ und kann der Sache mit Humor begegnen. Zum Glück.
Herr J. hat Diabetes, darum kümmert sich der ambulante Pflegedienst, der morgens, mittags und abends den Blutzucker messen kommt und Insulin spritzt. Das bezahlt die Krankenkasse.
Herr J. hatte auch einen Schlaganfall und kann daher seine Wohnung und seine Wäsche nicht mehr alleine in Ordnung halten. Hier hilft ihm zweimal die Woche jemand vom Seniorenservice. Den bezahlt das Sozialamt über Hilfe zur Pflege.
Herr J. leidet auch an Depressionen. Damit er sich nicht komplett in seiner Wohnung verkapselt und sich seine Antriebslosigkeit nicht verschlimmert, kommt an drei Stunden in der Woche jemand vom ambulant betreuten Wohnen. Das bezahlt die Eingliederungshilfe.
Herr J. fühlt sich trotzdem oft einsam. Daher hat seine BeWo-Betreuerin ihn in eine tagesgestaltende Maßnahme im psychosozialen Zentrum vermittelt, die er jeden Montag besuchen kann.
Weil er wenig Geld hat, geht Herr J. regelmäßig zur Tafel, um sich dort Lebensmittel zu holen. Die kann er wegen seiner rechtsseitigen Lähmung nicht alleine tragen. Dabei hilft ihm ein Ehrenamtlicher, den die Tafel kostenfrei vermittelt hat.
Seit einiger Zeit hat Herr J. Schwierigkeiten damit, die verordneten Psychopharmaka regelmäßig zu nehmen. Sein Neurologe hat ihm daher psychiatrische Pflege verordnet. Da der Pflegedienst, der sich um Blutzucker und Insulin kümmert, keine psychiatrische Pflege anbietet, übernimmt das ein anderer Pflegedienst. Ein Mitarbeiter kommt nun jeden Tag um acht Uhr morgens zu Herrn J., überwacht die Medikamenteneinnahme und führt ein kurzes Gespräch mit ihm. Das bezahlt die Krankenkasse.
Der Schlaganfall hat Herrn J. auch mit einer Gesichtslähmung zurückgelassen. Deshalb geht er einmal pro Woche zu einer Logopädin. Die bezahlt ebenfalls die Krankenkasse.
Da alle diese Helfer und Helferinnen auch mal krank sind oder Urlaub haben, und dann eine Vertretung einspringen muss, hat Herr J. es insgesamt mit mindestens 14 verschiedenen Personen zu tun. Plus Frau Eff, macht 15.
Man fragt sich natürlich, wie es in einer besseren Welt aussehen könnte. Toll wäre es zum Beispiel, wenn sich ein und dieselbe Person um den Diabetes und die psychiatrische Pflege kümmern könnte. Noch besser wäre es, wenn die Mitarbeiter des Betreuten Wohnens das mit dem Blutzuckermessen lernen könnten und auch die Medikamentenvergabe übernehmen könnten. Aber das geht in Deutschland nicht. Zum Insulinspritzen muss man eine Krankenpflegeausbildung haben – außer, man macht es bei sich selbst. Psychiatrische Pflege darf nur eine Psychiatiefachkrankenschwester durchführen. Und wofür die einen nicht qualifiziert genug sind, dafür sind die anderen überqualifiziert: Keinesfalls darf jemand vom ambulant betreuten Wohnen Herr J. beim Putzen helfen. Das wären dann keine Fachleistungsstunden mehr, sondern Assistenzleistungen, die geringer vergütet werden.
Für alle diese Leistungen müssen selbstredend auch unterschiedliche Anträge gestellt werden. Darüber beklagt sich Frau Eff schon gar nicht mehr. Es ist allerdings in vielen Fällen geradezu demütigend, dass jeder Leistungsträger den Hilfebedürftigen zu einem anderen Gutachter schickt. Ich betreute einen Klienten, der in den vergangenen Jahren im Rahmen von beantragten Leistungen 17 mal von unterschiedlichen Ärzten begutachtet worden ist. Wenn mir da jemand mit dem Slogan „Hilfen aus einer Hand“ kommt, kriege ich einen Schreianfall.