Frau Eff… und der Knast

Frau Eff, Berufsbetreuerin… und der Knast

Bei Beginn einer rechtlichen Betreuung muss Frau Eff ein Vermögensverzeichnis anlegen. Bei einigen Betreuungen ist sie dann schon nach wenigen Monaten auch in der Lage, ein Unvermögensverzeichnis zu erstellen. So auch bei Herrn Ö. Er ist wirklich taub und blind, was strafrechtlich relevantes Verhalten angeht. Fast drei Jahres seines jungen Lebens hat er bereits hinter Gittern verbracht. Ein langes psychiatrisches Gutachten bescheinigt ihm zwar eine Intelligenzminderung, aber keine Deliktunfähigkeit. Mit anderen Worten: Herrn Ö.s Straftaten sind so klar und eindeutig, dass auch er begreifen müsste, dass er das nicht darf und bestraft wird, wenn er es doch tut. Mit einem Motorroller 70 km/h fahren ohne Führerschein zum Beispiel. Herr Ö. ist diesbezüglich in der Region bekannt wie ein bunter Hund. Selbst wenn er einen Helm trägt (was er auch nicht immer tut), erkennt ihn die Polizei an der seltsamen Körperhaltung, mit der er auf seinen zusammengefrickelten Knattermaschinen durch die Stadt fährt. Oft schneller, als es auch mit Führerschein erlaubt wäre.

Fassungslos berichtete mir ein Polizeibeamter, wie er Herrn Ö. angehalten und verwarnt habe, nur um ihn zehn Minuten später wieder von der Maschine zu holen. Herr Ö. sagt dazu: „Frau Eff, das Sackgesicht von Bulle hat mir echt aufgelauert! Da rechnet doch keiner mit, dass der quasi an der gleichen Stelle stehen bleibt und auf mich wartet.“
Herr Ö. ist selbst auf dem Weg zu einer Gerichtsverhandlung (wegen Metalldiebstahl von einer Baustelle) von der Polizei wegen Fahrens ohne Führerschein erwischt worden. Er fand das hochgradig ungerecht, weil er doch sonst zu spät zur Verhandlung gekommen wäre.

Nun, es kam wie es kommen musste: Unter Einbeziehung aller geplatzten Bewährungsstrafen und auf Grund seiner massiven Uneinsichtigkeit wurde Herr Ö. zu insgesamt zwei Jahren Knast ohne Bewährung verurteilt. Zum Haftantritt musste die Polizei ihn holen. Seitdem sitzt er in einer JVA, wo er wegen seiner Lernbehinderung, seines Sprachfehlers und seiner Wehrlosigkeit das perfekte Opfer ist. Erst dachte ich, dass ein Häftling „leicht verdientes Geld“ für eine Betreuerin ist. Inzwischen sehe ich das anders. Neben der Wohnungsauflösung und einem Berg Schulden muss für Herrn Ö. fortwährend etwas geregelt werden. Anzeigen gegen Mitgefangene, Gespräche mit der Gefängnisleitung, die Jammerei der Angehörigen und vor allem die Durchsetzung der Rechte des Häftlings auf eine irgendwie geartete Vorbereitung in der Haft auf ein Leben draußen. Mitarbeiter des Justizvollzugs sind erstaunlich wenig in der Lage, überhaupt mit Menschen im freien Teil der Welt zu sprechen. Stundenlange Hilfeplangespräche in anderen Fällen gewohnt, stoße ich in der JVA auf hochgezogene Augenbrauen, wenn ich wissen will, was man Herrn Ö. sozialtherapeutisch so anbieten kann. Auch die in einem halben Jahr anstehende Entlassung will man eigentlich nicht mit mir besprechen. Ich solle mir mal keine Sorgen machen. Mache ich aber. Besonders, dass Herr Ö. im Zuge einer Begnadigungswelle (ich sage nur „Weihnachtsamnestie“) plötzlich bei mir vor der Tür steht.

Die ganze Sache wird nicht einfacher, weil die Justizvollzugsanstalten ein eigenes Vokabular haben, das ich nicht verstehe. Man wolle mir die Kopie der „Entschließung“ sowie eine „Vollzugsplanfortschreibung“ schicken. Auf dem Blatt, welches ich dann bekomme, steht dann „Vollstreckungsblatt / Wahrnehmungsbogen“ und ich habe keine Ahnung, was der Datensalat auf dieser Übersicht bedeutet.

Herr Ö. hingegen ist erstaunlicherweise in seinem Vertrauen zu mir ungebrochen. Mit großer Beharrlichkeit schafft er es, mich fast wöchentlich anzurufen und mich anzuflehen, doch bitte, bitte bei der Staatsanwaltschaft „ein gutes Wort für ihn einzulegen“. Herr Ö. ist der festen Überzeugung, dass ich dort nur ein bisschen auf Knien um Gnade betteln muss, um ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien. Meine ehrliche Meinung ist, dass er derzeit im Knast ganz gut aufgehoben ist. Die Mitgefangenen lassen ihn inzwischen in Ruhe, er lernt ein bisschen Arbeiten in der Anstaltsküche, er macht einen Alphabetisierungskurs. Und vor allem kann er nicht mehr Roller fahren.