Frau Eff, Berufsbetreuerin… und die Beerdigung
Gestern haben wir einen unserer Kollegen beerdigt. Erst 46 Jahre alt, war er bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen. Die Nachricht machte per E-Mail schnell die Runde, gefolgt von Telefonaten untereinander. Beschämt stellten wir fest, wie wenig wir von unserem Kollegen wussten. War er verheiratet? Hatte er Kinder? Man kannte sich halt von Arbeitskreistreffen, von gelegentlichen Betreuungsübernahmen, zufälligen Begegnungen im Amtsgericht oder einem gemeinsamen Kaffee auf die Schnelle. Ich habe gezögert, ob ich zur Beerdigung gehen sollte. Aber uns, einer Gruppe von Kollegen und Kolleginnen, die schon so lange „im Geschäft“ sind, wie es der verstorbene Kollege war, erschien das angemessen und wichtig.
Die sehr katholische Trauerfeier in einer in Fürsorge, Zuneigung und Tradition verbundenen Dorfgemeinschaft war schon ein bewegendes Erlebnis. Was mich allerdings noch mehr zu Tränen gerührt hat, war, dass ich am Eingang der Kirche bekannte Gesichter gesehen habe, die ich nicht dort vermutet hätte. Tief erschüttert, einen kleinen Blumengruß fest umklammernd, standen etliche Klienten am Rande der Trauergemeinde. Einige waren in Begleitung von Mitarbeitern des Betreuten Wohnens gekommen, andere hatten sich mit dem Rollstuhl auf eine abenteuerliche Busreise begeben, um an der Beerdigung teilnehmen zu können. Ein Betreuter, den ich über seine Freundin kenne, sprach mich gleich an und sagte: „Der A. ist tot, das ist so schlimm, Frau Eff. Der A. hat alles für mich getan. Der hat mich aus der Gosse geholt, der hat mir immer geholfen. Machst Du das jetzt, Frau Eff?“
Seiner Bitte konnte vor Ort noch entsprochen werden, weil auch einige Mitarbeiter der Betreuungsstelle zur Beerdigung gekommen waren. Ebenso wie Vertreter von anderen Behörden und vielen Einrichtungen. Das hat mich wirklich sehr beeindruckt und nachdenklich gemacht. Zu sehen, dass die, mit denen der Betreuerkollege täglich beruflich zu tun hatte, ihn auch als Menschen kennen und schätzen gelernt haben. Dass man überhaupt wahrgenommen wird, als Person, als jemand mit einem eigenen Leben… Ich weiß, das klingt seltsam, aber wenn man immer nur über Formulare, Akten und Problemfälle miteinander zu tun hat, bleibt der Mensch dahinter oft im Schatten, denkt man. Dachte ich jedenfalls. Und nun standen sie alle da: Die Familie, die Freunde, die Nachbarn und wir, die Kollegen, die Klienten und die Mitarbeiter von Einrichtungen, BeWo-Anbietern, Gerichten und Behörden. Wir sind hier alle gemeinsam drin, schoss es mir während der Messe durch den Kopf. Wenn alle Stricke reißen, wenn der problemgefüllte Arbeitsalltag wegbricht, wenn die Zeit stillsteht, wenn nichts mehr zu beantragen ist, keine Fristen mehr laufen, dann bleibt trotzdem noch etwas übrig.
So sehr wir auch versuchen, eine professionelle Distanz zu den Klienten aufrecht zu halten, unsere Leben vermengen sich doch. Auch die professionellen Helfer und Mitarbeiter in Behörden und Gerichten sehen eine kleine Ecke von uns als Mensch. Man unterhält sich über den Hund, den Urlaub, das Wetter. Man sieht, wie sich die anderen verändern, älter werden. Und wenn dann einer nicht mehr da ist, fehlt er.
Ich habe mir vorgenommen, im Sinne des verstorbenen Kollegen daran mitzuwirken, dass wir uns alle ein bisschen besser kennen lernen. Ich möchte, dass jeder Einzelne fehlt, wenn er nicht mehr da ist. Das ist in den Zusammenhängen, in denen viele Selbstständige arbeiten, sicher nicht einfach. Was mir zum Beispiel vorschwebt, ist ein offener Mittagstisch. Ein fester Termin im Monat, ein großer Topf Suppe, ein langer Tisch und eine offene Einladung an alle. Kommen könnten neben den Betreuerkollegen auch Rechtspfleger und Richter, Mitarbeiter von Ämtern und Einrichtungen, Klienten natürlich, Ärzte und Pflegekräfte. Mal sehen, ob wir das hinbekommen.