Frau Eff, Berufsbetreuerin… und die öffentlichen Verkehrsmittel
Es gibt vor dem Haupteingang der Werkstatt für Menschen mit Behinderung ein interessantes Ritual, was sich fast jeden Werktag wiederholt: Kurz vor Feierabend der behinderten Mitarbeiter fährt der Fuhrpark des ambulant betreuten Wohnens, kurz BeWo, vor. Die jeweiligen Fahrer und Fahrerinnen warten, bis die Tür aufgeht und nehmen dann ihre BeWo-Kunden in Empfang. Für viele geht die Fahrt dann in den nächsten Discounter zum Einkaufen. Dort wird der Wocheneinkauf routiniert in den Kofferraum des PKW gepackt, um danach noch andere Ziele anzusteuern: Arztpraxen, Brillengeschäfte, Physiotherapie, die Sparkasse oder auch Gruppenaktivitäten der BeWo-Anbieter.
Letztens rief mich einer meiner Klienten an und sagte verzweifelt, er müsse verdursten, weil die Cola alle sei, Sprudelwasser auch. Sein BeWo-Betreuer sei im Urlaub und er habe keinen, der ihn zum Einkaufen fahren könne. Mein Vorschlag, vielleicht einfach mal zu Fuß loszuziehen, fand er ziemlich abwegig: „Wie, die schweren Flaschen schleppen?“ Tatsächlich hatte er seit Jahren keine Getränke mehr eigenständig gekauft, weil für ihn wie für viele andere das ambulant betreute Wohnen so eine Art Chauffeurdienst geworden ist.
Und wer findet das mal wieder nicht gut? Die doofe Frau Eff.
Und zwar nicht, weil ich den Leuten das bisschen Luxus nicht gönne, sondern weil sie so nie lernen, sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Fahrrad oder zu Fuß in der Stadt zu bewegen. Es entsteht bei einigen eine Abhängigkeit, die auch nicht im Sinne der Eingliederungshilfe sein kann. Ich bin der Ansicht (und damit leider zunehmend auf verlorenem Posten), dass die Fachleistungsstunden des Betreutes Wohnens in der Wohnung und im Wohnumfeld des Betroffenen stattfinden sollten, und nicht im Auto, in Supermärkten am Stadtrand oder in den Büroräumen der Anbieter. Meine Idealvorstellung ist sogar, dass die Mitarbeiter des Betreutes Wohnens selbst viel mit Bus, Bahn und Fahrrad unterwegs sind und den Kunden damit zeigen, dass diese preiswerte Form der Fortbewegung effektiv und normal ist. Die BeWo-Mitarbeiter sind von dieser Idee allerdings wenig begeistert, weil sie selbst oft schon Jahre nichts mehr mit dem ÖPNV am Hut haben. Bei Regen an einer Bushaltestelle zu warten oder den BeWo-Kunden mit dem Fahrrad zum Einkaufen zu begleiten, finden sie kaum vorstellbar. Es ist ja für sie auch sehr praktisch, die Klienten in ihrem Auto zu haben. Hier hat alles seine Ordnung und sie selbst die Kontrolle. Die Klienten sind angeschnallt und hören zu, und wenn man ihnen einen Gefallen tun will, dann dürfen sie den Radiosender wählen.
Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine sehr exklusive Sache, so eine Autofahrt. Inklusiv wäre es, den betreuten Menschen Mobilität im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten zu eröffnen und diese gemeinsam auszubauen.
Gerade klingelt das Telefon. Mein Betreuter Peter A. ist am Apparat. Wir haben morgen gemeinsam einen Anhörungstermin beim Gericht.
Herr A.: „Holen Sie mich morgen ab, Frau Eff?“
Frau Eff: „Wieso, Herr A., wissen Sie nicht, wo das Amtsgericht ist?“
„Doch, das weiß ich, aber Sie können mich doch abholen, oder?“
„Ja klar, kein Problem. Sie müssen sich aber dann hinten auf meinen Fahrradgepäckträger setzen.“
„Sie kommen mit dem Fahrrad?“ fragt Herr A. ungläubig. „Sie haben doch ein Auto!“