Frau Eff… und die Stromnachzahlungen

Frau Eff, Berufsbetreuerin… und die Stromnachzahlungen

Das Frühjahr ist die Zeit, in der ich mit böser Vorahnung die Jahresabrechnungen der Energieversorger aus den Umschlägen ziehe. Meist sind es dicke Briefe, die das Wichtigste in fetten 14-Punkt-Lettern aufführen: Die Nachzahlung. Da die Heizkosten meist vom Sozialamt oder Jobcenter übernommen wird, ist der interessanteste Posten die Nachzahlung für Strom. Die muss jeder meiner Betreuten aus

der eigenen Tasche bezahlen. In den seltensten Fällen ist dies einfach so möglich. Die Wenigsten haben genug gespart, um die Forderungen direkt zu begleichen. Verhandlungen über Ratenzahlung, Kürzung des sowieso schon schmalen Monatsbudgets und vor allem Ursachensuche stehen dann auf dem Programm der rechtlichen Betreuerin.
Die Suche nach den Ursachen des hohen Energieverbrauchs erleichtert mir ein Strommessgerät, dass die Verbraucherzentrale verleiht. Hier meine aktuelle Top-Five-Liste der Stromfresser:

Herr G. muss in diesem Jahr  334,17 Euro nachzahlen. Er ist empört bis zum beinahen Herzinfarkt. Niemals, ruft er, niemals habe er so viel Strom verbraucht. Wie zum Hohn springt in diesem Moment mit einem gigantischen Scheppern sein zweiter Kühlschrank an, ein Modell aus den frühen 70er Jahren. Herr G. braucht nämlich zwei Kühlschränke. In einem kühlt er Milch, Marmelade und Butter (selten mehr), in einem anderen lagert er sein Insulin. Keinesfalls könne er Lebensmittel und Medikamente in einem Kühlschrank aufbewahren, alleine die Idee lässt ihn erschaudern. Als Rollstuhlfahrer braucht Herr G. eine konstante Raumtemperatur von 25 Grad, auch in der Küche. Gegen diese Bullenhitze müssen auch die beiden Kühlschränke ankühlen. Herr G. ist keinem Geldspar-Argument gegenüber zugänglich. Ich überlege ernsthaft, den älteren der beiden Kühlschränke mit einem sauberen Kabelschnitt vom Netz zu nehmen.

Frau A. pflegt Freundschaften in aller Welt über das Internet. In ihrer schnuckeligen Wohnung laufen Tag und Nacht ein dicker, alter PC mit Röhrenbildschirm und ein Notebook. Frau A. selbst friert zudem schnell, deshalb hat sie zwei schöne Heizdecken, eine auf dem Sofa, die andere auf dem Drehstuhl vor dem Computer. Ihre Stromnachzahlung beträgt 186,40 Euro.

Herr H. ist sparsam und sehr, sehr freundlich. Alle im Haus lieben ihn, alle grüßen ihn freundlich. Woher seine Nachzahlung über 203,10 Euro kommt, weiß er ganz genau: Sein Nachbar ist Schrauber. Er flickt die alten Klapperkisten der Nachbarschaft zusammen. Den Part mit dem Aufladen von schwachen Autobatterien übernimmt Herr H. für sie in seinem Keller. Dort hat er sogar ein kleines Regal und drei Steckdosen frei geräumt. Die Nachzahlungsforderung der Stadtwerke hält er seinem Schraubernachbarn unter die Nase. Der lacht nur.

Bei Herrn B. beträgt die Nachforderung für Strom lediglich 62,07 Euro, aber auch das kann er nicht zahlen. Er stottert schon einen privaten Kredit bei seinem Bruder und eine Geldstrafe fürs Schwarzfahren ab. Sein Grund für den hohen Stromverbrauch steht in der Küche: Ein 30 Jahre altes Mikrowellengerät, mit dem man sicher eine atomare Kernschmelze herbeiführen kann. Herr B. benötigt dieses Gerät, um darin bis zu 15 Mal täglich Wasser für löslichen Kaffee zu erhitzen und alle seine Mahlzeiten darin aufzuwärmen. Ein neues Gerät möchte er keinesfalls, da er der modernen Technik nicht traut.

Bei Frau N. finde ich auch nach intensiver Suche mit dem Strommessgerät nichts, was eine Nachzahlung von 1.490,23 Euro rechtfertigen würde. Aber der Außendienst des kommunalen Stromanbieters wird fündig: Frau N.s Nachbar hatte die Leitung angezapft und ein Stromkabel von ihrem Zähler in seine Wohnung verlegt. Ihm war vor einiger Zeit der Strom abgeklemmt worden, weil er seine Rechnung nicht bezahlt hatte.

Als Betreuerin überlege ich immer wieder, wie man das Problem des übermäßigen Stromverbrauchs in den Griff bekommen könnte. Bei meinem letzten Urlaub in England habe ich in einer Ferienwohnung eine Lösung gesehen. Dort gab es einen so genannten „prepayment meter“: Erst nach dem Einwurf eines 1-Pfund-Stückes in ein Gerät direkt am Stromzähler wurde die Stromversorgung für eine bestimmte Zeit freigegeben. Man konnte etliche Münzstücke einwerfen und an dem Gerät auch verfolgen, wie viel der Vorauszahlung schon aufgebraucht war. Da hätte ich am liebsten gleich zehn Stück für meine Klienten mitgebracht.