Eine berufspolitische Geisterfahrt
Im Vorstand des Bundesverbandes freier Berufsbetreuer wurde lange diskutiert, ob den Mitgliedern empfohlen werden sollte, in Anbetracht der vom Bundestag beschlossenen Umsatzsteuerbefreiung ins „Dezemberfieber“ auszubrechen und wegen des letztmaligen Vorsteuerabzuges Anschaffungen vorzuziehen. Wegen § 15a UStG haben wir dann auf eine solche Empfehlung verzichtet. Dass einstweilen gar keine Empfehlungen zum Umgang mit einer am 1.1.2013 eintretenden Steuerbefreiung erforderlich sein würden, weil der Bundesrat das ganze Jahressteuergesetz blockieren würde – damit hatten wir nicht gerechnet.
Wie irrational und unberechenbar es wird, wenn ein politisches Vorhaben als Teil eines komplexen Arikelgesetzes in den Wahlkampf gerät, hat Horst Deinert in der Bochumer Liste schön erklärt. Tatsächlich ist die Gemengelage noch komplizierter, weil die in den nächsten Monaten zu erwartende Entscheidung des Bundesfinanzhofes wiederum vom Nicht-Zustandekommen des Befreiungsgesetzes abhängen könnte. Vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes über die umsatzsteuerrechtliche Gleichbehandlung gemeinnütziger und nicht-gemeinnütziger Umsätze in „eng mit der Sozialfürsorge verbundenen“ Bereichen konnten die Berufsbetreuer nach folgender Faustregel hoffen: mit dem Jahressteuergesetz 2013 die Umsatzsteuerbefreiung für die Zukunft, mit dem Bundesfinanzhof-Urteil auch für die Vergangenheit, so dass es einer Entscheidung des Gesetzgebers eigentlich nicht bedarf.
Nun hat der EuGH in seinem Urteil C 174/11 zwar die umsatzsteuerrechtliche Gleichbehandlung unabhängig vom Gemeinnützigkeitsstatus festgelegt, d.h. selbständige Berufsbetreuer müssen umsatzsteuerrechtlich wie Betreuungsvereine behandelt werden. Das Gericht hat aber auch entschieden, dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-Mehrwertsteuer-Richtlinie die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung des „sozialen Charakters“ von privatrechtlichen Einrichtungen (in diesem Fall Selbständige) selbst nicht festlege (Randnummer 26). Es sei daher Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen diesen Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden könne.
Nach einem Zustandekommen des Jahressteuergesetzes 2013 könnte der Bundesfinanzhof argumentieren, dass der Gesetzgeber die selbständigen Berufsbetreuer ausdrücklich als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt habe – aber eben erst ab 2013, so dass eine Rückwirkung der Umsatzsteuerbefreiung ab 2005 nicht mehr in Betracht käme. Also wäre zu hoffen, dass die gesetzliche Umsatzsteuerbefreiung endgültig nicht zustande kommt? Der BFH könnte natürlich noch andere Argumente finden, die einer Befreiung nach Europarecht entgegenstehen. Dann wäre ohne gesetzliche Regelung überhaupt nichts gewonnen…
Sicher ist nur: wenn es gar keine Umsatzsteuerbefreiung gäbe, weder für die Zukunft noch für die Vergangenheit, dann wäre Frau Leutheusser-Schnarrenberger gefordert zu zeigen, wie ernst sie die Wertschätzung der Arbeit der Berufsbetreuer meint, die sie in der Pressemitteilung äußerte, mit der sie einen Verdienst am Zustandekommen des Beschlusses über das Jahressteuergesetzes reklamierte – und ob sie dann die Länder überzeugen könnte, doch eine Vergütungserhöhung für Berufsbetreuer zu finanzieren.