Bei Lebensgefahr Zwangsbehandlung weiterhin zulässig?

LG Kassel: Fürsorgepflicht des Staates gebietet Eingreifen

Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung des § 1906 BGB hält das Landgericht Kassel die Genehmigung einer Zwangsbehandlung eines Betroffenen für zulässig , der mangels fehlender Einsicht eine dringend notwendige ärztliche Maßnahme nicht durchführen lässt und dadurch der unmittelbaren Gefahr ausgesetzt wird, einen irreversiblen schweren gesundheitlichen Schaden zu erleiden oder gar in Todesgefahr zu geraten (LG Kassel, Beschluss vom 24.08.2012, 3 T 432/12). Im entschiedenen Fall lehnte das Beschwerdegericht die Genehmigung jedoch ab, weil beim Betroffenen, der an Anorexia nervosa litt, trotz eines Body-Mass-Indexes von nur noch 17 noch keine Lebensgefahr vorlag. Der Staat habe aus Art. 1 und Art. 2 II 1 GG eine Schutzpflicht und sei zum Eingreifen verpflichtet.

Dem Betreuungsgericht obliege auch gegenüber dem Betreuer eine Schutz- und Fürsorgepflicht, so das LG Kassel. Der Staat dürfe den durch ihn bestellten Walter fremder Interessen in Situationen, in denen Entscheidungen um Leben und Tod anstehen, nicht alleine lassen. Vielmehr sei dieser durch betreuungsgerichtliche Prüfungsverfahren zu entlasten. Für den Betreuer, die behandelnden Ärzte und schließlich für das Betreuungsgericht stelle sich die Frage, ob – obgleich es keine gesetzliche Grundlage gibt – der nicht von einem freien Willen getragene tatsächliche Widerstand des Betroffenen gegen dringend notwendige medizinische Maßnahmen gebrochen werden könne.
Diese Frage müsse zum Schutz des Betroffenen vor erheblichen Schäden oder gar dem Tod und schließlich auch zum Schutz der Beteiligten vor Strafbarkeit vom Betreuungsgericht als gegenüber dem Betroffenen und dem Betreuer Fürsorgepflichtigen beantwortet werden, schlussfolgerte die 3. Beschwerdekammer des Landgerichtes Kassel.