Bundesverfassungsgericht rüffelt Rechtspfleger und Richter des Amtsgerichts Meldorf
Ein Schuldner kann anwaltliche Beratungshilfe in Anspruch nehmen, wenn die Bank bei einer Kontenpfändung die Pfändungsschutzregeln bewusst missachtet. Der Schuldner braucht sich weder auf eine Beratung durch das Amtsgericht noch auf weitere briefliche Versuche verweisen zu lassen, die Bank umzustimmen. Eine entsprechende Verfassungsbeschwerde war beim Bundesverfassungsgericht erfolgreich (Beschluss vom 9. November 2010, 1 BvR 787/10).
Der SGB-II-Leistungen beziehende Schuldner verlangte nach dem Eingang einer Kontopfändung von seiner Bank die Barauszahlung des unpfändbaren Betrages gem. § 55 SGB I. Seitens der Bank wurde ihm jedoch erklärt, gesetzlichen Pfändungsschutz gebe es bei ihr nicht, damit mache man sich keine Mühe, das eingegangene Geld werde an den Gläubiger ausgekehrt, wie es im Tatbestand des Beschlusses wörtlich heißt. Ein Rechtsanwalt machte unter Androhung einer einstweiligen Verfügung die Auszahlung schriftlich geltend.
Der Beratungshilfeantrag wurde vom zuständigen Rechtspfleger des Amtsgerichts Meldorf (Schleswig-Holstein) abgelehnt. Der Beschwerdeführer hätte sich mit seinen „Fragen“ zur Zwangsvollstreckung an das Gericht hätte wenden können; ein verständiger Selbstzahler hätte die Beratung oder Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht in Anspruch genommen. Die Erinnerung dagegen wies der Rechtspfleger nun mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer hätte einstweiligen Pfändungsschutz beim Amtsgericht beantragen können. Der Amtsrichter entschied, ein verständiger Selbstzahler, der die Kosten der anwaltlichen Inanspruchnahme selbst hätte tragen müssen, hätte er davon abgesehen, ein „einfaches Schreiben“ durch einen Rechtsanwalt fertigen zu lassen, sondern das Schreiben selbst verfasst. Es sei dem Beschwerdeführer zuzumuten gewesen, sein Ansinnen eigenhändig noch einmal schriftlich – ob mit oder ohne Androhung gerichtlicher Schritte für den Fall der Nichtauszahlung – direkt an die kontoführende Bank zu richten.
Die Richter der 3. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts sahen das ganz anders: „…Die Auffassung des Amtsgerichts, auch ein verständiger Bemittelter hätte … auf die Inanspruchnahme anwaltlichen Rats und Beistands verzichtet, ist nicht nachvollziehbar … ; das Amtsgericht verlangt … ein Vorgehen, das ein Bemittelter auch unter Berücksichtigung des Kostenrisikos vernünftigerweise nicht gewählt hätte… Die bloße Beratung durch ein Amtsgericht hätte bei lebensnaher Betrachtung nicht dazu geführt, dass die kontoführende Bank ihre bisherige Weigerungshaltung aufgibt und innerhalb der Frist des § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB I a.F. eine Auszahlung des Kontoguthabens an den Beschwerdeführer erfolgt. Ebenso verkennt das Amtsgericht, dass der Beschwerdeführer sein Rechtsschutzziel der Auszahlung der auf seinem Konto eingegangenen Sozialleistungen auch mit einem Antrag auf einstweiligen Pfändungsschutz nicht hätte erreichen können…
Auch die Aufforderung des Amtsrichters, nochmals an die Bank zu schreiben, löste bei den Verfassungsrichtern Kopfschütteln aus : „… Die Annahme, dass in einer solchen Situation ein bemittelter Rechtsuchender auf die sofortige Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe verzichtet und trotz der bisherigen abschlägigen Reaktion der kontoführenden Bank nochmals selbst ein Schreiben an diese verfasst hätte, entbehrt jeden sachlichen Grundes, zumal selbst die rechtzeitige Kenntnisnahme und Bearbeitung eines solchen Schreibens keineswegs sicher gewesen wäre…“
Angesichts der Eindeutigkeit der Verfassungsgerichtsentscheidung kann sie auch auf betreute Schuldner übertragen. Nichtanwaltliche Berufsbetreuer sind hinsichtlich ihrer Rechtskenntnisse dem „verständigen Bemittelten “ gleichzustellen. Ein betreuter Schuldner kann nicht darauf verwiesen werden, dass sein Betreuer ohne anwaltliche Hilfe den Konflikt mit einer Bank aufnehmen solle, die sich schlichtweg weigert, eindeutige gesetzliche Pflichten zu erfüllen. Im vorliegenden Fall hatte offenbar auch die Rechtsabteilung der Zentrale der kontoführenden Bank eine Freigabe des Kontos und eine Auszahlung des streitigen Betrags an den Beschwerdeführer verweigert; für das Bundesverfassungsgericht ein wichtiges Argument, die Ablehnungsbegründung des Amtsgerichtes Meldorf als „nicht mehr nachvollziehbar“ zu bezeichnen.