Betreuerbestellung ersetzt ambulant betreutes Wohnen nicht

Sozialgericht prangert Blockadehaltung des überörtlichen Sozialhilfeträgers an

Durch die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung werden Maßnahmen des betreuten Wohnens im Rahmen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nicht überflüssig. Wesentliche Defizite der Betroffenen im alltäglichen Bereich, die die ambulante Betreuung gem. § 54 SGB XII erforderlich machen, können durch eine Betreuerbestellung nicht behoben werden, die ambulanten Betreuungsmaßnahmen können durch die rechtlichen Betreuer schon rein zeitlich nicht geleistet werden. Mit diesen Feststellungen weist das Sozialgericht Aachen in einem Beschluss vom 3. April 2012 (S 19 SO 224/11 ER) die Ausflüchte des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) zurück, mit denen ein Antrag auf betreutes Wohnen abgelehnt wurde.

Auch eine weitere Schutzbehauptung des LVR, keine Kostenübernahme erklären zu müssen, ließ das Sozialgericht Aachen nicht gelten. Beim Betroffenen wurden eine Alkoholkrankheit bei Alkoholkarenz seit 2010 und eine chronifizierte hirnorganische Erkrankung mit Wesensänderung und intellektuellem Abbausyndrom sowie ein chronifiziertes depressives Syndrom diagnostiziert. Nach Einschätzung des im Eilverfahren eingeschalteten Sachverständigen liege eine schwere und wahrscheinlich dauerhafte Erkrankung vor. Ohne fremde Hilfe könne der Betroffene seine Hausarbeit nicht erledigen, seine Wohnung nicht in Ordnung halten und sich auch im Übrigen nicht selbst versorgen. Er schaffe es nicht, Arzttermine oder Termine mit seiner gesetzlichen Betreuerin zu planen und einzuhalten. Zu seinen Bezugspersonen könne er keinen (dauerhaften) Kontakt aufbauen, ohne Hilfe des betreuten Wohnens drohe er zu vereinsamen und zu verwahrlosen. Der überörtliche Sozialhilfeträger hielt anstelle der ambulanten Betreuung eine Entwöhnungsbehandlung für vorrangig erforderlich.

Das Sozialgericht wies dem gegenüber darauf hin, dass die bestehende Alkohol- und Cannabisabhängigkeit zur Verschlimmerung der hirnorganischen Erkrankung geführt habe und nicht ersichtlich sei, dass die hirnorganische Erkrankung mit den gravierenden kognitiven Defiziten allein durch eine Entwöhnungsbehandlung gebessert werden könnte. Auch eine neuropsychologische Therapie könne allenfalls flankierend eingesetzt werden, um die bestehenden psychischen Grunderkrankungen zu therapieren, könne aber die Maßnahmen des ambulant betreuten Wohnens nicht ersetzen. Der Landschaftsverband hatte ursprünglich die Einschränkungen des Betroffenen im täglichen Leben nicht als behinderungsbedingt, sondern als „bloße Charaktereigenschaft“ bewertet.

Die Behauptung des LVR, die Alltagsdefizite seien durch die zwischenzeitlich erbrachten Maßnahmen des betreuten Wohnens kompensiert worden, mutete den Sozialrichter als „geradezu zynisch“ an. Zur ambulanten Betreuungsmaßnahme sei es nur deshalb gekommen, weil der Maßnahmeträger trotz fehlender Bewilligung bereit war, “in Vorleistung zu treten”. Der Betroffene habe dadurch jedoch nicht selbst befähigt werden können, seinen Haushalt aus eigener Kraft zu bewältigen bzw. Termine zu planen und wahrzunehmen und Sozialkontakte zu den einzigen ihm noch verbliebenen Personen aufzubauen.

Berufsbetreuer werden nicht umhin kommen, den zunehmend dreisteren Versuche der Eingliederungshilfeträger, Rechtsansprüche vorzuenthalten,  grundsätzlich mit Sozialgerichtsklagen zu begegnen.