Betreuung ist erforderlich, wenn sie der sozialen Integration dient

Betreuungsrichter warnt vor Überschätzung betreuungsvermeidender Hilfen

Während die interdisziplinäre Arbeitsgruppe beim Bundesjustizministerium durch die Erschließung betreuungsvermeidender Hilfen das Betreuungsrecht „verbessern“, also Kosten begrenzen will, plädiert der Straubinger Amtsgerichtsdirektor Horst Böhm dafür, sowohl die Prüfung der Erforderlichkeit der Betreuung als auch die Respektierung des Willens des Betroffenen daran zu messen, ob dadurch jeweils die soziale Integration gefördert oder zumindest nicht behindert werde.

In seinem Referat zum 1. Bayerischen Betreuungsgerichtstag am 22.Juli 2010 in München, das nun in der Zeitschrift für Sozial- und Betreuungsrecht (BtSRZ) veröffentlicht wird, warnt der Ehrenvorsitzende des Bayerischen Richtervereines davor, die Potentiale betreuungsvermeidender anderer Hilfen zu überschätzen. Bei diesen anderen, nichtstaatlich organisierten Hilfen bestehe die Gefahr der Unzuverlässigkeit, Unzulänglichkeit oder des Eigennutz bzw., dass den „anderen Helfern“ zu viele rechtsgrundlose Befugnisse zugestanden würden.

Vor dem Hintergrund seiner richterlichen Erfahrungen mit dem betreuungsvermeidenden Instrument der Vorsorgevollmacht konkretisiert Böhm seine Warnung dahingehend, dass die eigentlich betreuungsbedürftigen Menschen hier ohne ein staatlich organisiertes und überwachtes Vertretungsrecht auskommen müssten. Mit Ausnahme freiheitsentziehender und schwerwiegender ärztlicher Maßnahmen entfielen bei einer Vollmacht alle betreuungsgerichtlichen Genehmigungen: Kündigung der Wohnung, Abschieben in ein Pflegeheim, riskante Vermögensanlagen, dubiose Zuwendungen aus dem Vermögen des Betreuten seien möglich. „Der Betreute wird dann schnell zum Objekt der Wünsche des Bevollmächtigten. Bei einem Bevollmächtigten gibt es auch keine Garantie dafür, dass das Ziel der sozialen Integration und die Gewährleistung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verfolgt wird. Diese Ziele im Auge zu behalten, ist dagegen beim Betreuer eine gesetzliche Verpflichtung“, unterstreicht Böhm in seinem BtSRZ-Beitrag.

Böhm äußert auch Zweifel am Dogma des Vorrangs des freien Willens. Der Ruf nach dem Verbot staatlicher Erziehung, Besserung und des Schutzes vor Selbstschädigung sei ein wenig überzeugendes Argument für den Vorrang der freien Willensbildung vor staatlicher Fürsorge. Politisch gewünscht sei jedoch eine großzügige Bejahung der freien Willensbildung mit der erhofften Folge, möglichst wenige Betreuungen finanzieren zu müssen.