Ärztevertreter fordern schnelle gesetzliche Regelung der Zwangsbehandlung bei geschlossener Unterbringung

Nach BGH-Entscheidung: Psychiater sehen sich im Dilemma

Der BGH-Beschluss zur Zwangsbehandlung schafft für Krankenhausärzte ein unerträgliches Dilemma: Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen dürfen ohne Zustimmung nicht medikamentös behandelt werden. Damit könnten die Ärzte jedoch gleichzeitig unterlassene Hilfeleistung begehen. Dies erklärte Prof. Dr. med. Peter Falkai, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde und Direktor der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Der BGH sagt: Ihr dürft die Leute zwar unterbringen, aber ihr dürft sie nicht behandeln. Patienten, die chronisch psychisch krank sind und mit einer akuten Verschlechterung kommen, brauchen schnell Hilfe. Wir dürfen ihnen aber kein Neuroleptikum verabreichen, wenn sie das ablehnen.

Der Gesetzgeber müsse jetzt dringend handeln und die seitens des BGH eingeforderten gesetzlichen Grundlagen für eine am Patienten orientierte Behandlung gerade auch der schwer kranken Patienten schaffen,  so der Präsident der DGPPN. “Geschieht dies nicht, steht zu befürchten, dass sich die nun fehlende medikamentöse Behandlung in einer deutlichen Zunahme anderer Zwangsmaßnahmen wie beispielsweise geschlossenen Unterbringungen, Separierungen, mechanischen Fixierungen oder gravierenden selbstschädigenden Verhaltensweisen äußern wird“, erklärte Falkai im Deutschen Ärzteblatt.

„Es bleibt uns nichts anderes übrig, als z.B. Menschen mit Psychosen, die auf Grund ihrer Wahngedanken nicht bereit seien, Medikamente zu nehmen, zu entlassen, obwohl diese schwer krank sind. Zudem besteht die Gefahr, dass Erkrankungen häufiger chronifizieren“, erklärte Dr. Margot Albus, Ärztliche Direktorin des Isar-Amper-Klinikums München, einer der größten psychiatrischen Kliniken Deutschlands, gegenüber dem Focus. „Der Gesetzgeber hätte früher realisieren können, dass hier ein neues Gesetz notwendig ist. Dass die BGH-Richter so entscheiden würden, war seit dem Verfassungsgerichtsurteil vom Oktober 2011 absehbar. Da wäre nun wirklich Zeit gewesen, ein Gesetz anzugehen”, so die Psychiaterin Albus.

Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der Einwilligungsfähigkeit von Patienten mahnt der Vorsitzende des Hartmannbundes –Verband deutscher Ärzte, Dr. Klaus Reinhardt an: „Es muss für den behandelnden Arzt zweifelsfrei und praktikabel geregelt werden, ob und unter welchen Voraussetzungen dem vom Patienten selbst formulierten Willen Vorrang gegenüber der Entscheidung des Betreuers zukommt. Es ist inkonsequent und inakzeptabel, Ärztinnen und Ärzten einerseits die alleinige Verantwortung für die Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit der Patientinnen und Patienten aufzubürden, sie dann aber bei den tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Entscheidung auf unbestimmte Rechtsbegriffe zu verweisen“. Reinhardt forderte, diese Klarstellung müsse zwingend im noch laufenden Gesetzgebungsverfahren in das Patientenrechtegesetz einfließen.

Inzwischen fordern verschiedene Politiker das Bundesjustizministerium zu einer schnellen gesetzlichen Regelung auf, so der baden-württembergische Justizminister Rainer Stickelberger (SPD). Nach einer gesetzlichen Neuregelung müsse die Zwangsbehandlung die seltene Ausnahme werden, erklärte die Bundestagsabgeordnete Maria Klein-Schmeink, Sprecherin der Fraktion Die Grünen/B´90 für Prävention und Patientenrechte. „Wir brauchen einen Ausbau von neuen Formen der akuten Krisenhilfe, um Patienten, die eine medikamentös gestützte Behandlung ablehnen, Alternativen bieten zu können. Für die anstehende Debatte um das Patientenrechtegesetz fordern wir einen Anspruch des Patienten auf eine Behandlungsvereinbarung, in der für einen chronisch psychisch Kranken vor und außerhalb einer psychischen Krisensituation festgelegt werden kann, welche Behandlung er wünscht oder ablehnt, so Klein-Schmeink.

Ein bemerkenswertes Beispiel zur Begründung der Notwendigkeit einer raschen gesetzlichen Neuregelung lieferte Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU): „Wie der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen selbst ausführt, kann das Fehlen von Befugnissen zur Durchsetzung notwendiger medizinischer Maßnahmen dazu führen, dass Betroffene ohne eine solche Behandlung erheblichen Schaden nehmen, so zum Beispiel, wenn ein an Demenz erkrankter Diabetiker die erforderliche Insulinzufuhr verweigert, weil er seine Erkrankung nicht erkennen kann.“