Leistungen für behinderte pflegebedürftige Menschen dürfen aus Betreuersicht nicht verschlechtert werden und müssen unbürokratisch zu erlangen sein
Der Umfang der Pflegebedürftigkeit soll künftig nach einem Verfahren festgestellt werden, das der wertenden Ermittlung von Hilfebedarfsgruppen in der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen z.B. nach dem Metzler-Verfahren ähnelt. Anstelle der Bemessung der Pflegeleistungen nach notwendigen Verrichtungen in Minutenwerten soll im SGB XI der Grad der Selbständigkeit bei der Durchführung von Aktivitäten oder Gestaltung von Lebensbereichen bewertet werden:
- Mobilität
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
- Selbstversorgung
- Umgang mit krankheits-/therapiebedingten Anforderungen
- Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte
- Außerhäusliche Aktivitäten und Haushaltsführung.
Diese Kriterien sind Ergebnis einer umfangreichen Studie zur Weiterentwicklung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs (Projekt „Maßnahmen zur Schaffung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines neuen bundesweit einheitlichen und reliablen Begutachtungsinstruments zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI“; Wingenfeld u.a., Abschlussbericht zur Hauptphase 1: Das neue Begutachtungsassessment zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit; Windeler u.a., Abschlussbericht zur Hauptphase 2: Evaluation eines Neuen Begutachtungsinstruments).
Danach sollen die Defizite bei der Bewältigung der Alltagsaktivitäten detailliert erfasst und der jeweils erforderliche Hilfebedarf nach Belastungsstufen (leicht/mittel/schwer) bewertet werden. Die Aussagen zum Grad der Beeinträchtigung unterscheiden fünf Abstufungen von „unbeeinträchtigt“ über drei Zwischenstufen bis hin zur Feststellung eines vollständigen oder weitgehenden Verlustes der Selbständigkeit oder Fähigkeit. Diese Teilergebnisse werden in einem weiteren Schritt der Berechnung zu einer Gesamtaussage über die Selbständigkeit einer Person bei der Durchführung von Aktivitäten und bei der Gestaltung von Lebensbereichen zusammengeführt. Die abschließende Punktwertermittlung müsste auf einer unterschiedlichen Gewichtung der oben genannten Module beruhen. Die Unterscheidung von Stufen ist für die Bemessung von Leistungsansprüchen erforderlich.
Die die Bundesregierung tragenden Parteien haben sich im Koalitionsvertrag zur Umsetzung dieses noch von Großen Koalition entwickelten Projekts bekannt. Schwierigster Punkt bei der Realisierung der notwendigen Änderungen innerhalb der bundesweiten Pflegeversicherung sind die Auswirkungen auf die von Ländern und Kommunen verantwortete Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Eine Simulation der Anwendung der Begutachtungskriterien auf behinderte Menschen in der Zuständigkeit eines überörtlichen Sozialhilfeträger (LWL Westfalen-Lippe) durch die Uni Bremen ergab eine Verdoppelung der Zahl behinderter Menschen, die auch Pflegeleistungen beanspruchen könnten.
Wegen der Überlagerung der Bedarfsdimensionen der Eingliederungshilfe durch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff müssen die Schnittstellen zwischen der Pflege und der Eingliederungshilfe neu definiert werden. Dabei ist aus Betreuersicht zu befürchten, dass die Leistungsinanspruchname künftig noch komplizierter werden könnte als sie es heute schon ist. Daher muss der Sachverstand der Berufsbetreuer im Hinblick auf Entbürokratisierungspotentiale von Sozialleistungsverfahren frühzeitig in die Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden.