Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 2019 (1 BvR 2006/16 – 1 BvR 2029/16) zum Vergütungsanspruch im „Betreuten Wohnen“

Das Landgericht Leipzig hat die Überprüfung seiner Entscheidungen zur Betreuervergütung durch den Bundesgerichtshof willkürlich unterbunden

Das Bundesverfassungsgericht hat wenige Monate vor Inkrafttreten des Vormünder- und Betreuervergütungsanpassungsgesetzes eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen getroffen:

Trotz der bundesweit uneinheitlichen Rechtsprechung zum Begriff der heimmäßigen Unterbringung und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Vergütung von Berufsbetreuern (niedrigere Stundenansätze) hatte das Landgericht Leipzig in ständiger Praxis nicht nur eine heimmäßige Unterbringung für verschiedene Formen des „Betreuten Wohnens“ bejaht sondern darüber hinaus eine gerichtliche Überprüfung seiner Entscheidungen durch den Bundesgerichtshof dadurch unterbunden, dass es die Rechtsbeschwerde nicht zuließ. Als einziger Rechtsbehelf stand dem Beschwerdeführer folglich die Verfassungsbeschwerde zur Verfügung, mit der er eine Verletzung seines Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz rügte.

Das Bundesverfassungsgericht hielt die Beschwerde für offensichtlich begründet. In diesem Zusammenhang betont es, dass das Landgericht zur Abgrenzung der Wohnformen voneinander allein auf eine “faktische Rundumversorgung“ durch verschiedene Betreuungsleistungen abgestellt hatte und dadurch von der überwiegend von den Oberlandesgerichten vertretenen Rechtsauffassung abwich, nach der es für die Abgrenzung auf eine rechtliche Verknüpfung von Unterkunfts-, Betreuungs- und Verpflegungsleistungen ankommt. Es hätte also Anlass für das Landgericht bestanden, dem Beschwerdeführer wenigstens die Möglichkeit zu geben, diese Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof klären zu lassen. Da zudem die Nichtzulassung der Beschwerde mit keinem Wort begründet worden war, verkürzten die Beschlüsse des Landgerichts den Rechtsweg in verfassungswidriger Weise.

Abgesehen davon, dass man die Entscheidung – bildlich gesprochen – nur als eine „schallende Ohrfeige“ für das Landgericht Leipzig interpretieren kann, weil es sich offenbar dauerhaft der Kontrolle seiner Rechtsprechung durch eine höhere Instanz entziehen wollte, strahlt die Entscheidung auf die zu erwartende Rechtsprechung zur Auslegung des am 27.07.2019 in Kraft getretenen § 5 Abs. 3 VBVG aus. Die anstehenden zahlreichen Rechtsfragen zur vergütungsrechtlichen Einordnung der unterschiedlichen Formen des „Betreuten Wohnens“ werden letztlich höchstrichterlich – also vom BGH – zu entscheiden sein. Die Tatsacheninstanzen werden – unabhängig davon, wie sie diese Rechtsfragen beurteilen – angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gut daran tun, jeweils die Rechtsbeschwerde zuzulassen, um eine bundesweit einheitliche Auslegung des Betreuervergütungsanpassungsgesetzes zu ermöglichen. Eines kann man allerdings schon jetzt prognostizieren: Die Rechtsauffassung des Landgerichts Leipzig wird zukünftig kaum noch haltbar sein. Denn der Gesetzgeber stellt für die Abgrenzung der ambulanten Wohnform von der den stationären Wohnformen gleichgestellten ambulanten Wohnformen zukünftig nicht ausschließlich auf eine faktische Rundumversorgung ab, sondern auch darauf, ob der Anbieter der Betreuungs- und Pflegeleistung rechtlich frei wählbar ist.