Betreute können nur bei Verhandlungsfähigkeit wirksame Prozesserklärungen im Strafverfahren einlegen

Betreuer sollte im Strafverfahren immer Antrag auf Verteidigerbestellung und Aufgabenkreiserweiterung stellen

Im „Normalfall“ haben rechtliche Betreuer gegenüber straffälligen Betreuten zunächst keine konkreten Pflichten, sondern erst dann, wenn das  Betreuungsgericht den Aufgabenkreis der Vertretung im Strafverfahren bestellt. Wenn der Angeschuldigte jedoch wegen einer geistigen oder psychischen Behinderung im Strafverfahren seine Rechte nicht selbst vertreten kann, dann muss das Strafgericht im Rahmen der Verfahrensfürsorge nicht nur bei Verbrechen, sondern auch bei Vergehen die Bestellung eines Pflichtverteidigers prüfen. Das Oberlandesgericht Dresden

bestätigte mit einem Beschluss vom 05. Februar 2015 (2 OLG 21 Ss 734/14) diese zuvor vom OLG Hamburg definierte strafprozessuale Linie.

In dem neuen Fall hatte eine Betroffene mit einem IQ von 66 (wesentliche geistige Behinderung im Sinne des Eingliederungshilferechts) unter Vortäuschung ihrer Zahlungswilligkeit ein Paar Schuhe zum Preis von 60,87 EUR bestellt und nach Erhalt nicht bezahlt. Gegen den Strafbefehl legten sowohl sie angeblich selbst als auch ihre Betreuerin einen auf Höhe und Anzahl der Tagessätze der Geldstrafe beschränkten Einspruch ein. Im Verhandlungstermin lehnte der Strafrichter die Bestellung eines Pflichtverteidigers ab. Die gegen das Urteil eingelegte Revision zum OLG war erfolgreich.

Die Angeschuldigte sei wegen der Auswirkungen ihrer Behinderung und einer emotional instabilen Persönlichkeit im Strafverfahren nicht selbst verhandlungsfähig gewesen, weil sie die Auswirkungen von Entscheidungen nicht übersehen könne, so das OLG. Weil ihre Betreuerin mangels Aufgabenkreises auch keine Verfahrensbeteiligte gewesen sei, habe ein „verfahrensrechtlicher Beistand“ (Pflichtverteidiger) bestellt werden müssen.