Die Reform – Teil 2

Das Außen- und das Innenverhältnis

I. Das Außenverhältnis

Das Alleinstellungsmerkmal der rechtlichen Betreuung ist auch ab dem 01.01.2023 die Befugnis zur Stellvertretung (§ 1823 BGB). Die Wirksamkeit stellvertretenden Handelns – beispielsweise beim Abschuss von Verträgen oder der Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff – wird auch weiterhin im Außenverhältnis unabhängig davon sein, ob rechtliche Betreuer durch ihr Handeln den Wünschen der betreuten Person folgen oder nicht, da anderenfalls ein verlässliches Auftreten im Rechtsverkehr nicht sichergestellt werden kann. Einer Ärztin wäre es beispielsweise nicht zuzumuten, vor der Durchführung einer Operation zu überprüfen, ob die von einem Betreuer für einen einwilligungsunfähigen Betreuten erteilte Einwilligung dem Wunsch der betreuten Person entspricht.  Sie muss sich darauf verlassen können, dass die Einwilligung des Betreuers wirksam ist, da sie anderenfalls Gefahr liefe, sich wegen Körperverletzung strafbar zu machen.

Die Befugnis zur Stellvertretung wird auch in Zukunft durch die übertragenen Aufgabenbereiche begrenzt (§ 1815 BGB). Begrifflich werden sämtliche übertragenen Aufgabenbereiche zukünftig als der übertragene Aufgabenkreis bezeichnet und hat der Gesetzgeber in § 1815 Abs. 2 BGB besonders eingriffsintensive Entscheidungen – insbesondere mit einer Freiheitsbeschränkung verbundene Maßnahmen – benannt, die nur getroffen werden dürfen, wenn sie im Aufgabenbereich ausdrücklich erwähnt werden. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass zukünftig der Aufgabenbereich Aufenthaltsbestimmung rechtliche Betreuer nicht berechtigt, eine Unterbringung der betreuten Person anzuordnen. Für vor dem 01.01.2023 angeordnete Betreuungen, gelten diese Einschränkungen jedoch erst ab dem 01.01.2028. Die erforderlichen Änderungen in den Betreuerausweisen werden nicht unverzüglich, sondern erst bei der nächsten Entscheidung über die Verlängerung der rechtlichen Betreuung oder anlässlich eines Genehmigungsverfahrens vorgenommen (Art. 229 § 54 EGBGB).

Der Gesetzgeber hat klargestellt, dass rechtliche Betreuer die betreuten Personen zwar vertreten können aber nicht müssen. Diese Klarstellung ist vor dem Hintergrund des Erforderlichkeits-grundsatzes dahingehend zu verstehen, dass vor einem stellvertretenden Handeln wenigstens gedanklich jeweils zu prüfen ist, ob eine konkrete Angelegenheit von der betreuten Person selbst erledigt werden kann. In welchem Umfang stellvertretendes Handeln erforderlich ist, wird in der Praxis häufig von der diagnostizierten Erkrankung bzw. vorliegenden Behinderung und dem aktuellen Gesundheitszustand der betreuten Person abhängig sein.

Schließlich hat der Gesetzgeber an den bisherigen Voraussetzungen für die Anordnung einer rechtlichen Betreuung festgehalten. Danach wird auch zukünftig eine rechtliche Betreuung nur angeordnet, wenn eine volljährige Person wegen einer Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist ihre rechtlichen Angelegenheiten ganz oder teilweise selbst zu besorgen. Dies bedeutet – wie bereits vor Inkrafttreten des Reformgesetzes – nicht, dass in den übertragenen Aufgabenbereichen stellvertretend gehandelt werden muss oder die betreute Person gar geschäftsunfähig ist. Vielmehr stellt sich in einem modernen Betreuungsrecht das Verhältnis zwischen den betreuten Menschen und den rechtlichen Betreuern als ein Miteinander dar, bei dem auf die jeweilige Lebenslage und das Ausmaß der Erkrankung bzw. Behinderung flexibel unter Einbeziehung der betreuten Person reagiert werden kann.

II. Das Innenverhältnis

Das Innenverhältnis – vor allem der Maßstab für die Zusammenarbeit zwischen rechtlichen Betreuern und betreuten Menschen – ist zukünftig in § 1821 BGB geregelt. Der Gesetzgeber hat das Innenverhältnis – verglichen mit der Vorgängerregelung (§ 1901 BGB) – auf der einen Seite präziser und systematisch verständlicher beschrieben und auf der anderen Seite die Pflichten rechtlicher Betreuer erweitert. Außerdem ist für das Innenverhältnis als Pendant zu der Regelung in § 1823 BGB vorgesehen, dass rechtliche Betreuer von ihrer Befugnis zur Stellvertretung nur Gebrauch machen dürfen, soweit dies erforderlich ist.

1) Der Maßstab für die Entscheidungsfindung im Innenverhältnis (Regelfall)

Durch die ersatzlose Streichung des Wohlbegriffs ist nunmehr auch ausdrücklich klargestellt, dass sich der Maßstab für die Erledigung der übertragenen rechtlichen Angelegenheiten nicht nach objektiven oder vernünftigen Kriterien oder gar nach den Vorstellungen der rechtlichen Betreuer richtet, sondern grundsätzlich nach den Wünschen der betreuten Person.

Dies darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass rechtliche Betreuer sämtliche Wünsche einer betreuten Person zu erfüllen haben. Begrenzt wird diese Verpflichtung durch den übertragenen Aufgabenkreis und den Zweck der rechtlichen Betreuung, die rechtlichen Angelegenheiten der betreuten Person zu besorgen.

Hierzu zwei Beispiele aus der Praxis:

a)

Eine Betreuerin, der die Aufgabenbereiche Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten und Gesundheitssorge übertragen worden sind, hat nicht die Aufgabe, auf Wunsch eines Betreuten, dessen facebook account zu löschen, weil von ihm während einer psychotischen Phase ein Profilbild hochgeladen worden ist, dessen Veröffentlichung ihm nunmehr unangenehm ist. In diesem Fall ist von vornherein der Aufgabenkreis der Betreuerin nicht betroffen.

b)

Einem rechtlichen Betreuer sind die Aufgabenbereiche Vermögenssorge und Beantragung von Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern übertragen worden. Das Gericht hat außerdem einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Der Betreuten ist die Fahrerlaubnis entzogen worden. Sie äußert den Wunsch, endlich einmal wieder einen Ausflug mit ihrem Pkw ins Umland zu machen. In diesem Fall beschränkt sich die Aufgabe des Betreuers darauf, die für einen solchen Ausflug erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen und zu prüfen, ob der Betreuten – zum Beispiel durch die Nutzung eines Sonderfahrdienstes wegen einer Gehbehinderung oder eine Leistung der Eingliederungshilfe der Ausflug ermöglicht werden kann. Liegen die rechtlichen Voraussetzungen für diese Leistungen nicht vor oder sind entsprechende Angebote tatsächlich nicht vorhanden, kann der Wunsch – jedenfalls mittelfristig – nicht realisiert werden.

Rechtliche Betreuer haben die Aufgabe, die Wünsche der betreuten Person festzustellen, soweit ihnen die Erledigung bestimmter Aufgaben übertragen worden ist. Hierfür dürfte häufig ein Gespräch mit der betreuten Person ausreichen, wobei Betreuer hierfür – je nach der Bedeutung der Angelegenheit – genügend Zeit einplanen und ggf. mehrere Gespräche führen sollten (Entscheidungsfindungsprozess). Wenn betreute Menschen nur eingeschränkt oder gar nicht in der Lage sind, ihren Willen in einem Gespräch zu äußern, ist der Wille durch die Nutzung anderer Kommunikationsmittel in Erfahrung zu bringen. Ist auch dies nicht möglich, ist der mutmaßliche Wille zu ermitteln. Hierfür sollen auch Gespräche mit nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen geführt werden.

Sollten rechtlichen Betreuern – was in der Praxis nicht selten vorkommt – keine Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den (mutmaßlichen) Willen einer Person in Erfahrung zu bringen, ist es jedoch nahliegend, die Entscheidung anhand objektiver Kriterien zu treffen, die dann dem mutmaßlichen Willen am nächsten kommen dürften. Die unterstützte Entscheidungsfindung wird im BGB nicht erwähnt. Sie soll jedoch zukünftig als Methode gelehrt werden und Voraussetzung für den Nachweis der Sachkunde sein.

Übergehen rechtliche Betreuer einen nach § 1821 Abs. 2 BGB zu beachtenden Wunsch der betreuten Person, bleiben ihre rechtserheblichen Erklärungen im Außenverhältnis zwar wirksam, jedoch können sich aus einer solchen Pflichtverletzung Schadensersatzansprüche ergeben.

2) Die Nichtbeachtung des Wunsches zum Schutz der betreuten Person (Ausnahme)

Durch die Regelung in § 1821 Abs. 3 Nr. 1 BGB hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes umgesetzt. Danach ist den Wünschen einer betreuten Person ausnahmsweise nicht zu entsprechen, wenn sie hierdurch sich selbst oder ihr Vermögen erheblich gefährden würde und dies wegen ihrer Erkrankung oder Behinderung nicht erkennen kann oder nach dieser Einsicht nicht handeln kann. Die Vorschrift definiert die Grenze, bis zu der rechtliche Betreuer das Selbstbestimmungsrecht einer Person zu achten haben und ab wann sie zum Schutz der betreuten Person gegen ihren Willen in den übertragenen Aufgabenbereichen tätig werden müssen.

 Sie bürdet – wegen ihrer Unschärfe (Ab wann ist eine Gefährdung erheblich?) – rechtlichen Betreuern eine große Verantwortung auf und kann in der Praxis nur so gehandhabt werden, dass rechtlichen Betreuern in der konkreten Situation ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird, der sich an einer ex-ante-Betrachtung orientieren muss. Insbesondere wenn zügiges Handeln zur Abwendung einer Gefahr erforderlich oder eben auch nicht erforderlich ist, hielten wir es für unvertretbar, rechtlichen Betreuern im Nachhinein – nach Bekanntwerden sämtlicher entscheidungserheblicher Umstände – vorzuwerfen, sie hätten im konkreten Fall die Gefahr unzutreffend eingeschätzt oder die Ursächlichkeit einer Erkrankung bzw. Behinderung für die falsche Einschätzung der Gefahr durch die betreute Person nicht richtig beurteilt.

Inhaltlich unverändert bleibt die Regelung in § 1821 Abs. 3 Nr. 2 BGB. Danach können Wünsche der Betreuten nicht beachtet werden, wenn ihre Erfüllung dem Betreuer nicht zuzumuten ist. Hiermit sind Wünsche gemeint, die von rechtlichen Betreuern nur erfüllt werden könnten, indem sie über Gebühr und vollkommen unangemessen in Anspruch genommen werden. Auch eine Gefährdung Dritter, der Allgemeinheit oder eine Beteiligung an der Gefährdung der betreuten Person kann verweigert werden. Erstaunlich, aber auch bezeichnend ist, dass in der Gesetzesbegründung nicht erwähnt wird, dass selbstverständlich auch eine Gefährdung der eigenen Person von rechtlichen Betreuern nicht verlangt werden kann.

Schließlich dürfen Wünsche der Betreuten nicht beachtet werden, wenn ihre Erfüllung eine rechtswidrige Handlung voraussetzt. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die sozialrechtlichen Mitwirkungspflichten, die zur Folge haben können, dass die Voraussetzungen für eine Sozialleistung entfallen oder bereits erbrachte Leistungen zurückzuerstatten sind. In diesen Fällen geht es nicht etwa darum, die betreute Person zu schützen oder ihre Wünsche zu erfüllen, sondern darum, dass sie ihren Rechtspflichten nachkommt.

3) Besprechungs- und Kontaktpflicht – Pflicht zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks

§ 1821 Abs. 5 BGB beinhaltet drei Pflichten, die im Zusammenhang mit der Gestaltung des Innenverhältnisses stehen und Auswirkungen auf die zukünftig zusammenfassend in § 1863 BGB geregelten Berichtspflichten (Anfangsbericht / Jahresbericht / Schlussbericht) haben.

Die Besprechungspflicht ist zur Erledigung der Aufgaben für die betreute Person unentbehrlich, da sie der Feststellung der Wünsche des Betreuten dient, Anhaltspunkte für eine Erweiterung oder Einschränkung der Aufgabenbereiche bieten und eine Aufgabenverteilung (Organisation der Betreuung) ermöglichen kann. Letzteres sollte rechtliche Betreuer – je nach den Fähigkeiten der betreuten Person – dazu veranlassen, Aufgaben durch die betreute Person erledigen zu lassen und lediglich zu überwachen. Denn es gehört auch zu den Aufgaben rechtlicher Betreuer, die betreute Person zu befähigen, ihre Angelegenheiten selbst zu erledigen (Rehabilitationsauftrag – § 1821 Abs. 6 BGB). In welchem Umfang diese Möglichkeit besteht, ist selbstverständlich eine Frage des Einzelfalles.

 Die Besprechungspflicht steht unter dem Vorbehalt, dass eine Besprechung überhaupt möglich ist. Vor dem Hintergrund, dass die Anordnung einer rechtlichen Betreuung voraussetzt, dass eine Person ihre rechtlichen Angelegenheiten in den übertragenen Aufgabenbereichen nicht selbst besorgen kann – und zwar im Regelfall nicht wegen einer körperlichen Behinderung – dürfte die Unmöglichkeit, der Besprechungspflicht nachzukommen, in der Praxis durchaus eine Rolle spielen und wäre dies gegenüber dem Betreuungsgericht im Rahmen der Berichtspflichten zu begründen.

Der Gesetzgeber hat die Besprechungspflicht erweitert, indem er sie ab 2023 nicht mehr auf wichtige Angelegenheiten beschränkt, sondern auf sämtliche Angelegenheiten erstreckt. In der Praxis wird dies zur Folge haben, dass Absprachen zu weniger wichtigen Angelegenheiten telefonisch erfolgen oder zu Beginn einer Betreuung die Übernahme von Routinetätigkeiten abgesprochen werden. Anderenfalls dürfte die Erledigung der Angelegenheiten nahezu ausgeschlossen sein und bestünde die Gefahr, dass Fristen versäumt werden. Beispielweise könnte bei einem Erstgespräch vereinbart werden, dass ein rechtlicher Betreuer für die Betreute Grundsicherungsanträge und Anträge auf Verlängerung der Eingliederungshilfe stellt.

Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, für die Pflicht zum persönlichen Kontakt eine konkrete Frequenz festzulegen und überlässt es weiterhin rechtlichen Betreuern, eigenverantwortlich zu entscheiden, wie häufig ein persönlicher Kontakt am Aufenthaltsort der betreuten Person oder – soweit möglich – im Büro des Betreuers oder der Betreuerin erforderlich ist. Ergänzt wird diese Pflicht durch die weitergehende neu eingeführte Pflicht, sich regelmäßig einen persönlichen Eindruck von der betreuten Person zu verschaffen. Diese Pflicht geht weiter, als die Besprechungs- und Kontaktpflicht, da sie unabhängig von einem Besprechungsbedarf besteht und dadurch erfüllt werden soll, dass die betreute Person in ihrem persönlichen Umfeld aufgesucht wird.

Die Wahrnehmung der drei genannten Pflichten wird durch die Betreuungsgerichte beaufsichtigt. Zukünftig sind daher im Jahresbericht Angaben über den persönlichen Kontakt und die die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks zwingend erforderlich (§ 1863 Abs. 3 Nr. 1 BGB).

Da die Rechtsaufsicht nach dem in § 1821 Abs. 2 bis 4 BGB festgelegten Maßstab zu erfolgen hat, haben Rechtspfleger zukünftig die Wünsche der Betreuten im Rahmen der Aufsicht zu beachten.  Dies dürfte erhebliche Auswirkungen auf die drei dargestellten Pflichten haben. Sollte zum Beispiel eine Betreute nur einen sehr eingeschränkten persönlichen Kontakt zu ihrer Betreuerin wünschen und keine Besuche in ihrer Wohnung dulden, kann dies zur Folge haben, dass die Pflicht zum persönlichen Kontakt und zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks für die Betreuerin mit wenig Aufwand verbunden ist und dies im Rahmen der Rechtsaufsicht nicht beanstandet werden kann.