Eine andere Wohnform i.S.d. § 5 Abs. 3 VBVG a.F. liegt auch dann vor, wenn der Träger einer Einrichtung einfache ärztlich verordnete Maßnahmen erbringt und für darüber hinaus gehende Leistungen unter Berücksichtigung der freien Arztwahl vermittelnd tätig wird

Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 13.06.2023 – 5 T 77/23

I.

Das Landgericht Arnsberg hat der sofortigen Beschwerde eines Betreuers stattgegeben, dessen Vergütung durch das Amtsgericht Brilon nicht korrekt festgesetzt wurde. In dem zugrundliegenden Verfahren wurde zwischen den Beteiligten über den Begriff der „anderen Wohnform“ i.S.d. § 5 Abs. 3 VBVG a.F. gestritten.

Das Amtsgericht Brilon vertrat die Auffassung, dass der Betreute sich in einer ambulant betreuten Wohnform, welcher einer stationären Einrichtung gleichzustellen wäre, aufhalten würde. Dies begründete es unter anderem damit, dass die internen Angebote des Trägers, welcher über eine umfassende Organisationsstruktur verfügen würde, den Bedarf des Betreuten abdecken würden. Die freie Wählbarkeit der Leistungen wäre auf Grund der Kündigungsregelung im Wohn- und Betreuungsvertrag nicht gegeben. Die Kündigungsregelung sah u.a. vor, „dass dem Träger ein Kündigungsrecht zusteht, wenn er eine fachgerechte Betreuungsleistung nicht erbringen kann, weil der Bewohner eine von ihm – aufgrund einer Änderung des individuellen Betreuungsbedarfs – angebotene Anpassung der Leistungen nicht annimmt und dem Leistungsanbieter deshalb ein Festhalten am Vertrag nicht zumutbar ist.“

Das Landgericht Arnsberg folgte der Rechtsauffassung des Amtsgerichts Brilon nicht und berief sich in seiner Begründung unter anderem auf den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 29.06.2022 – XII ZB 480/21. In seiner Entscheidung führt es aus, dass zwingende Voraussetzung für das Vorliegen einer stationären Einrichtung oder als eine dieser gleichgestellten ambulanten betreuten Wohnform das Vorhandensein einer 24 – Stunden-Betreuung ist und darüber hinaus, dass der Leistungsanbieter Änderungen im Versorgungsbedarf der Bewohner erkennt und abdeckt. Demzufolge liegt keine stationäre Einrichtung oder eine dieser gleichgestellte ambulant betreute Wohnform vor, wenn der betreute Mensch verpflichtet ist, behandlungspflegerische Leistungen die über einfache ärztlich verordnete behandlungspflegerische Maßnahme hinausgehen durch externe Dienstleister zu decken, die er frei auswählen kann. Im vorliegenden Fall stand nicht entgegen, dass die Einrichtung über einen professionellen Organisationsapparat verfügte, die die Bewohner im Rahmen einer ganztägigen Betreuung unterstützen und hierdurch eine „Rund- um- die- Uhr“ Versorgung gewährleisten. Solange dem Bewohner eine freie Wählbarkeit hinsichtlich der Leistungen zusteht und soweit diese nicht vom Wohn- und Betreuungsvertrag erfasst werden, handelt es sich um keine stationäre Einrichtung. Maßgeblich ist allein ob dem Bewohner die Möglichkeit gegeben wird, eine Auswahlentscheidung zu treffen, von welchem Anbieter er die externe Pflege oder die Betreuungsleistung in Anspruch nehmen möchte. Eine vertraglich vorgesehene Kündigungsmöglichkeit der Einrichtung für den Fall, dass Leistungen externer Anbieter in Anspruch genommen werden, habe keinen Einfluss auf die betreuungsrechtliche Definition der Wohnformen in § 5 Abs. 3 VBVG.

II.

Die Rechtsprechung zu den Wohnformen im Sinne des § 5 Abs. 3 VBVG ist auch nach der letzten grundlegenden Änderung des Vergütungsrechts im Jahr 2019 schwer verständlich und sehr einzelfallabhängig. Berufsbetreuer sollten in strittigen Fällen Kopien der Wohn- und Betreuungsverträge zur Verfügung stellen, da die Gerichte sich bei der Prüfung der Wohnform nicht an den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort, sondern an den Vertragsinhalten orientieren. Darüber hinaus sollte im Fall einer aus Sicht des Betreuers positiven Entscheidung – keine stationäre Einrichtung oder ihr gleichgestellte Wohnform – daran gedacht werden, auch für zurückliegende Zeiträume eine Nachvergütung zu beantragen, wenn zuvor eine niedrigere Vergütung festgesetzt wurde und keine bestandskräftigen Vergütungsbeschlüsse vorliegen.

Ob der Gesetzgeber auch nach er Evaluation des Vergütungsrechts an der komplexen und unübersichtlichen Regelung in § 5 Abs. 3 VBVG festhalten wird, bleibt abzuwarten. Ob mit der Vorschrift tatsächlich ein vergütungsrelevantes griffiges Abgrenzungskriterium geschaffen wurde, darf zumindest bezweifelt werden.