Freier Wille gegen Betreuerbestellung bedeutet nicht Geschäftsfähigkeit zur Errichtung einer Vorsorgevollmacht

Bundesgerichtshof stoppt erneut Bevollmächtigungswahn von Gerichten und Behörden

„Der Betroffene will keine Betreuung? Dann soll er doch eine Vorsorgevollmacht unterschreiben!“ Auf diese Weise vermeiden viele Betreuungsbehörden und Gerichte Betreuerbestellungen und Arbeitsaufwand.

Besonders in Württemberg rühmen sich Bezirksnotare, auf diese Weise die niedrigsten Betreuerbestellungsquoten in Deutschland erreicht zu haben. Doch so einfach geht es nicht, wie der Bundesgerichtshof am 15. Juni 2016 (XII ZB 581/15) entschied.

Die sparsamen Schwaben saßen diesmal allerdings nicht im Notariat Mössingen, das einen Betreuer bestellt hatte, sondern im Landgericht Tübingen, das die Bestellung wieder aufhob.

Eine der Töchter der Betroffenen hatte die Bestellung eines Fremdbetreuers angeregt, gegen die sich die Betroffene wehrte und später ihrer anderen Tochter und ihrem Ergotherapeuten Vorsorgevollmachten erteilte. Das vom Notariat bestellte Sachverständigengutachten kam zum Ergebnis, dass die Ablehnung der Betreuung nicht auf freier Willensbestimmung beruhe. Einer der Richter der Beschwerdekammer des LG Tübingen sah das anders und hielt die Betroffene im Hinblick auf die errichteten Vorsorgevollmachten für geschäftsfähig.

Der 12. BGH-Senats hob die Entscheidung zur Entlassung des Betreuers wieder auf und forderte das Landgericht auf, die Wirksamkeit der Vollmachten zu überprüfen. Freier Wille im Hinblick auf die Ablehnung der Betreuerbestellung und Geschäftsfähigkeit bei der Vollmachtserrichtung seien nicht dasselbe. Bei einem Betroffenen könne gleichzeitig beides der Fall sein: das Fehlen eines freien Willens, aber das Vorliegen von Geschäftsfähigkeit in Bezug auf die Vollmacht – und umgekehrt.
Diese Beurteilung der Geschäftsfähigkeit der die Vorsorgevollmacht erteilenden Betroffenen müsse nach § 26 FamFG der Tatrichter vornehmen und ausermitteln, stellte der 12. Senat fest und wiederholte damit seinen Beschluss vom 3. Februar 2016 (XII ZB 425/14). Die dazu notwendige Anhörung müsse durch alle Kammerrichter, nicht nur durch den berichterstattenden Richter vorgenommen werden – vor allem, weil hier der persönliche Eindruck im Widerspruch zur Sachverständigenfeststellung zum freien Willen und zur Geschäftsfähigkeit stand.

Besonders bedenklich an der Entscheidung der 5. Kammer des Landgerichts Tübingen ist, die Tochter dafür zu bestrafen, dass sie die Klärung des gesetzlichen Tatbestandes gem. § 1896 Abs 3 Satz 1 BGB betrieb, ob denn die Rechtsangelegenheiten ihrer Mutter durch ihre bevollmächtigte Schwester wirklich ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Sie sollte dafür sogar noch die Gerichtskosten zahlen, weil „…das Ringen um die gesetzliche Vertretung nicht primär an den Interessen und Bedürfnissen der Betroffenen orientiert gewesen sei…“ Der BGH hat den Landrichtern Gelegenheit geben, auch diese Entscheidung noch einmal zu überdenken.