Bundessozialgericht grenzt rechtliche von sozialer Betreuung ab
Zielt die Hilfe auf die rein tatsächliche Bewältigung des Alltags, kommt eine Leistung der Eingliederungshilfe in Betracht; zielt sie indes auf das Ersetzen einer Rechtshandlung, ist der Aufgabenbereich des rechtlichen Betreuers betroffen.
Auf diese Formel bringt der 8. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 30.06.2016 (B 8 SO 7/15 R), zu dem jetzt die Urteilsbegründung vorliegt, die Unterscheidung von rechtlicher Betreuung und Leistungen des Ambulant-betreuten-Wohnens. Das BSG schließt sich der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes zur Abgrenzung von Leistungen der Sozialhilfe von solchen der rechtlichen Betreuung an, der in seinem Urteil vom 2.12.2010 (III ZR 19/10) Tätigkeiten, die der tatsächlichen Hilfeleistung für den Betroffenen dienen, ohne zu dessen Rechtsfürsorge erforderlich zu sein, der Sozialhilfe zuordnete. Der Betreuer sei hingegen verpflichtet, solche Hilfen zu organisieren, nicht aber, sie selbst zu leisten.
Da die rechtliche Betreuung die rechtliche Besorgung von Angelegenheiten zum Inhalt habe, handele der rechtliche Betreuer nach außen als Stellvertreter, so das BSG. Seien Beratung und Unterstützung (als Hilfen zur Entscheidung) auf das Ob und Wie der Erledigung rechtlicher Belange ausgerichtet, seien sie der rechtlichen Betreuung zuzuordnen, ansonsten sei der Aufgabenbereich Eingliederungshilfe betroffen.
Zwar stellten die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung selbst und die ersetzenden Handlungen des Betreuers einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen dar, stellte das BSG fest. Leistungen der Eingliederungshilfe mit der gleichen Zielrichtung wie die rechtliche Betreuung stellten aber nur dann eine andere, betreuungsvermeidende Hilfe dar, wenn sie tatsächlich auch erbracht würden; nur ein Anspruch auf ihre Erbringung reiche zur Betreuungsvermeidung nicht aus.
Diese klare Botschaft an die Betreuungsbehörden wird durch eine Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28.05.2015 (L 9 SO 231/12) verunklart, die durch die Rücknahme der Revision zum BSG rechtskräftig wurde. Auch dieses Urteil schließt aus, dass bei rechtlich betreuungsbedürftigen Menschen mit Behinderungen die Wahrung derer rechtlichen Interessen und die Besorgung ihrer rechtlichen Angelegenheiten Gegenstand des Sozialhilferechts sein könnten.
Die im konkreten Fall notwendigen Unterstützungsleistungen für einen Alkoholabhängigen bei der Beantragung von Grundsicherungsleistungen, der Klärung des Krankenversicherungsverhältnisses und der Initiierung des Insolvenzverfahrens seien keine Leistungen der Eingliederungshilfe gewesen, weil die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung erforderlich gewesen sei, so das LSG NRW. Es erklärt die Beratungs- und Unterstützungsleistungen der rechtlichen Betreuer zu „vertrauensbildenden bzw. -erhaltenden Maßnahmen und persönliche Zuwendung“, die für die rechtliche Besorgung der Angelegenheiten des Betreuten in einem gewissen Maße erforderlich seien.
Der abschließende Hinweis des Landessozialgerichts an die Sozialhilfeträger schafft jedoch Irritationen für die Betreuungsbehörden. Die im Zusammenhang mit der Beantragung von Grundsicherungsleistungen, der Klärung des Krankenversicherungsverhältnisses und der Initiierung des Insolvenzverfahrens notwendigen Unterstützungsleistungen habe auch eine Beratungsstelle vornehmen können, dafür hätte es keiner ambulanten Betreuung der Eingliederungshilfe bedurft.
Das ist widersprüchlich: entweder war der Betroffene, wie das LSG feststellte, wegen seiner Alkoholabhängigkeit hinsichtlich behördlicher Angelegenheiten und der Erfassung komplexer geistiger Zusammenhänge eingeschränkt und benötigte für die Wahrnehmung behördlicher und rechtlicher Angelegenheiten durch einen vertretungsbefugten Betreuer – oder die Betreuerbestellung war nicht erforderlich, weil eine andere Hilfe in Form der Beratung durch eine Beratungsstelle ausgereicht hätte.