Grundlagen der Haftung rechtlicher Betreuer gegenüber den Betreuten

Fall: der verspätete Wohngeldantrag

Rechtliche Betreuer haften den Betreuten für schuldhaft begangene Pflichtverletzungen nach den §§ 1908 i, 1833 BGB. Ab dem 01.01.2023 ergibt sich die Anspruchsgrundlage aus § 1826 BGB. Die Voraussetzungen für die Haftung rechtlicher Betreuer bleiben auch nach der Reform unverändert. Die Änderungen, die sich aus der Regelung in § 1826 BGB ergeben, betreffen insbesondere die Beweislast und die Haftung der Betreuungs-vereine für ihre Mitarbeiter. Hierüber werden wir in einem gesonderten Artikel informieren.

Darüber hinaus kann sich ein Schadenersatzanspruch (Haftung) gegen rechtliche Betreuer aus dem Deliktsrecht ergeben; insbesondere § 823 Abs. 1 und Abs 2 BGB. Auch zur deliktischen Haftung planen wir einen gesonderten Beitrag. In Ausnahmefällen kann sich schließlich noch eine Haftung ergeben, wenn die für eine Betreuung ausgewählte Personen, die Übernahme der Betreuung ohne Begründung ablehnt (vgl. zur Übernahmepflicht: § 1898 BGB) und dadurch dem oder der zu Betreuenden ein Schaden entsteht. Da sich eine Pflichtverletzung auch aus einem Unterlassen ergeben kann, empfiehlt es sich daher, dem Gericht bzw. der Betreuungsbehörde frühzeitig zu signalisieren, wenn keine Bereitschaft zur Übernahme der rechtlichen Betreuung besteht und sollte dies kurz begründet werden (Bsp.: berufliche Überlastung / familiäre Verpflichtungen).

Die Haftungsvoraussetzungen nach § 1833 BGB erläutern wir anhand eines Falles:

Dem Betreuten steht seit Januar 2021 ein Anspruch auf Wohngeld zu.  Die Betreuerin stellt den Antrag jedoch erst am 01.04.2021. Ihr waren bereits im Januar die Einkommensverhältnisse des Betreuten bekannt. Bei einer Besprechung hatte der Betreute der Betreuerin gesagt, er würde doch viel zu viel Miete bezahlen. Die Betreuerin wusste auch, dass der Betreute keine Sozialleistungen (Jobcenter / Grundsicherung) bezieht und ihm diese auch nicht zustehen. Mit Bescheid vom 15.06.2021 wird dem Betreuten rückwirkend ab dem 01.04.2021 Wohngeld in Höhe von 200,00 € monatlich bewilligt. Der Betreute verlangt nun von der Betreuerin Schadenersatz in Höhe von 600,00 € (entgangenes Wohngeld für die Monate Januar bis März). Hiergegen wendet sich die Betreuerin mit dem Argument, dass sie überlastet gewesen sei und keine Kenntnis im Wohngeldrecht besitze. Steht dem betreuten der Schadenersatzanspruch zu?

Ein Haftungsanspruch würde bestehen, wenn die Betreuerin schuldhaft eine Pflichtverletzung begangen hätte und dadurch dem Betreuten ein Schaden entstanden ist. Die Haftungsvoraussetzungen lauten demnach:

  1. Pflichtverletzung
  2. Verschulden (der Gesetzgeber spricht insoweit vom Vertretenmüssen)
  3. Schaden
  4. Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden

Eine Pflichtverletzung setzt grundsätzlich voraus, dass die rechtliche Betreuung angeordnet worden und ein entsprechender Aufgabenkreis übertragen worden ist. Außerhalb der übertragenen Aufgabenkreise dürfte eine Haftung nur in Betracht kommen, wenn schuldhaft versäumt wird, eine Erweiterung des Aufgabekreises zu beantragen.

Im vorliegenden Fall ergibt sich die Pflicht, einen Wohngeldantrag zu stellen, aus der Übertragung des Aufgabenkreises Wohnungsangelegenheiten. Diese Pflicht hat die Betreuerin auch verletzt, da sie es bis zum 01.04.2021 unterlassen hat, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Zwar werden die Pflichten rechtlicher Betreuer durch den Grundsatz, die Wünsche der Betreuten zu beachten, relativiert; jedoch liegen hier keine Anzeichen dafür vor, dass der Betreute kein Wohngeld erhalten wollte; zumal er die Betreuerin selbst auf die hohe Miete hingewiesen hatte.

Die Betreuerin handelte auch schuldhaft. Schuldhaftes Verhalten setzt entweder Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraus. Die Regelung zum Verschulden befindet sich in § 276 BGB. Ein vorsätzliches Handeln würde nur dann gegeben sein, wenn wissentlich der Antrag auf Wohngeld nicht gestellt wurde und der hierdurch entstehende pflichtwidrige Zustand gewollt wäre. In der Praxis geht es in der Regel um einen Fahrlässigkeitsvorwurf, da es die Ausnahme darstellt, dass rechtliche Betreuer die betreuten Personen vorsätzlich schädigen; also eine Schädigung zumindest billigend in Kauf nehmen.

Die Betreuerin hätte fahrlässig gehandelt, wenn sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hätte (§ 276 Abs. 2 BGB).  Fahrlässigkeit setzt grundsätzlich eine Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit des Erfolges voraus. Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen der groben und der einfachen Fahrlässigkeit. Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem schwerem Maße verletzt wurde. Handelt es sich hingegen um keine besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung wird von einer einfachen Fahrlässigkeit gesprochen, die für ein Haftung rechtlicher Betreuer jedoch ausreicht. Zugrunde gelegt wird ein objektiver Sorgfaltsmaßstab. Dies hat zur Folge, dass die Berufung auf fehlende Fachkenntnisse jedenfalls dann unerheblich ist, wenn für einen „Durchschnittsmenschen“ Veranlassung bestanden hätte, einen Wohngeldanspruch zu prüfen oder – wenn die Fachkenntnisse fehlen – prüfen zu lassen. Dies war hier der Fall, da der Betreute auf die „hohe Miete“ hingewiesen hatte und der Betreuerin bekannt war, dass der Betreute keine Sozialleistungen für die Kosten der Unterkunft bezieht. Die Betreuerin hätte sich daher den Mietvertrag zeigen lassen und prüfen müssen, ob ein Wohngeldanspruch besteht. Im Verhältnis zwischen den Betreuten und rechtlichen Betreuern ist dies auch sachgerecht, weil die rechtliche Betreuung angeordnet wird, weil eine Person nicht in der Lage ist, in den übertragenen Aufgabenkreisen ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen.

Auch die Arbeitsüberlastung schließt den Fahrlässigkeitsvorwurf nicht aus. Denn es geht eben nicht um die subjektiven Fähigkeiten oder die Lebenssituation der in Anspruch genommenen Betreuerin, sondern um einen objektiven Maßstab. Fahrlässiges Verhalten wird sich jedoch ausschließen lassen, wenn Betreute Personen rechtlichen Betreuern Informationen vorenthalten und sich diese Informationen auch nicht anderweitig ergeben (Beispiel: aussagekräftige Schriftstücke befinden sich bei den Unterlagen) oder in Erfahrung bringen lassen.

Nach § 22 WoGG wird Wohngeld nur auf Antrag gewährt und der Bewilligungszeitraum für Wohngeld gemäß § 25 Abs. 2 WoGG beginnt am Ersten des Monats, in dem der Wohngeldantrag gestellt worden ist. Nachdem eine rückwirkende Gewährung von Wohngeld somit ausscheidet entsteht dem Betreuten durch (Kausalität) die Pflichtverletzung der Betreuerin ein finanzieller Schaden in Höhe des monatlichen Wohngeldes bis einschließlich März 2021. Die Pflichtverletzung ist vorliegend auch ursächlich für den Schaden. Die Kausalität setzt bei einem Unterlassen voraus, dass bei einem pflichtgemäßen Handeln (Wohngeldantrag wäre im Januar 2021 gestellt worden), der Schaden vermieden worden wäre. Das ist hier unproblematisch der Fall. Außerdem stellen sich unter Wertungsgesichtspunkten mitunter schwierige Zurechnungsfragen, die im Ausgangsfall jedoch keine Rolle spielen. Dem Betreuten steht ein Schadenersatzanspruch in Höhe von 600,00 € zu. In einem Prozess müsste der Betreute die Voraussetzungen des Anspruches auf Schadensersatz nach § 1833 BGB darlegen (Sachverhalt schildern) und beweisen. Die Betreuerin müsste sich also nicht exkulpieren und kann den Vortrag des Betreuten grundsätzlich bestreiten. Dann trüge der Betreute die sogenannte Beweislast und würde den Prozess verlieren, wenn nach einer Beweisaufnahme ungeklärt bliebe, ob die Voraussetzungen für einen Anspruch vorliegen.